„Saddam soll am Rande des Abgrunds gehalten werden“

■ Ein Gespräch mit einer Delegation der irakischen Opposition in Kairo über die Bildung von Schutzzonen für kurdische Flüchtlinge im Nordirak und die politischen Perspektiven der Anti-Saddam-Koalition/ Kurdisch-irakische Verhandlungen haben bei der übrigen irakischen Opposition Kritik ausgelöst

Die irakische Opposition zeigte sich überrascht von den Verhandlungen zwischen der Kurdischen Front und der irakischen Regierung, die letzte Woche unter der Führung von Jalal Talabani, dem Vorsitzenden der „Patriotischen Union Kurdistans“, in Bagdad geführt wurden und nächste Woche fortgesetzt werden sollen.

Noch vor sieben Wochen hatte die gesamte irakische Opposition auf einem Kongreß in Beirut Einheit im Kampf gegen Saddam Hussein demonstriert. Ein Rat zur nationalen Rettung sollte gebildet werden, der statt des Regimes in Bagdad das irakische Volk in allen internationalen Gremien vertreten sollte. Eine Führung im Lande selber und alle möglichen Komitees sollten den Aufstand koordinieren, und drei Wochen später sollte ein zweiter Kongreß in Saudi-Arabien folgen.

Aber mit Ausnahme der Kurden sitzt die Führung der Opposition immer noch in Damaskus und London. Die Komitees gibt es bislang nur auf dem Papier, die Koordination der praktischen Arbeit blieb aus, die Saudis scheinen ihre Meinung über die vor ein paar Wochen ausgesprochene Einladung geändert zu haben und der Folgekongreß in weite Ferne gerückt zu sein. Und selbst die arabischen Brüder der Anti-Saddam- Front haben die Einladung zum nächsten Außenministertreffen der arabischen Liga, das Mitte Mai in Kairo stattfindet, nach Bagdad und nicht an die Opposition geschickt.

Auch die Delegation der irakischen Opposition, die soeben in Kairo Gespräche mit dem Präsidentenamt und dem Außenministerium führte, repräsentiert nicht das gesamte Oppositionsspektrum, sondern nur einen kleinen Ausschnitt: die sogenannte „demokratisch-nationale Strömung“ (national i. S. von arabisch-nationalistisch). Zu ihr gehören die „Unabhängigen Nationalisten“ um Ex-General Hassan Naguib, Teile der syrischen Baath-Partei, Ex-Kommunisten, die sich zu der kleinen Gruppe „Demokratische Tribüne“ zusammengeschlossen hatten und die „Nationale Übereinkunft“, die erst während des Golfkrieges ins Leben gerufen wurde. Letztere versteht sich als Auffangbecken für Militärs und Baath-Funktionäre, die dem Saddam-Regime in Bagdad kritisch gegenüberstehen. Ihr haben sich viele Offiziere, die am Märzaufstand beteiligt waren, angeschlossen, aber auch Diplomaten, wie die irakischen Botschafter in Spanien und Australien.

Salah Amr Ali war 1970 irakischer Informationsminister, später Botschafter des Irak bei der UNO, heute ist er Sprecher der „Nationalen Übereinkunft“.

Dr. Iyad Alawi, Arzt, war früher Führungsmitglied der Baath-Partei, heute gehört er ebenfalls der „Nationalen Übereinkunft“ an

Dr. Abdel Hussein Shaaban, Völkerrechtler und Journalist, ist Mitglied der „Demokratischen Tribüne“, einer Gruppe von Intellektuellen, zumeist ehemalige KP-Mitglieder.

taz: Sie kritisieren die Verhandlungen der Kurden mit Bagdad. Hatten die Kurden denn angesichts des Flüchtlingselends und des Zusammenbruchs des Aufstandes im Süden überhaupt eine andere Wahl?

Salah Amr Ali: Die Opposition hätte eine langfristige Strategie zum Sturz des Regimes entwickeln müssen. Auch wenn die Intifada im Süden zusammenbricht, kann man nicht gleich vor der Staatsmacht kapitulieren, sondern muß aus der Erfahrung lernen. Die kurdische Bewegung war nicht auf das vorbereitet, was geschah. Wir hoffen, daß unsere Brüder in Kurdistan so schnell wie möglich mit den anderen Kräften der Opposition die Gründe für die Niederlage auswerten und auf der Basis eine neue Strategie entwickeln.

Das Regime ist innen- und außenpolitisch völlig isoliert. Die Wirtschaft liegt am Boden. Saddam Hussein sucht einen Ausweg aus der Krise. Er versucht, durch die Verhandlungen einen Teil der Opposition zu neutralisieren, um den Druck auf das Regime zu verringern. Das ist nicht das erste Mal. Sobald der Druck abnimmt, nimmt er seine Versprechungen wieder zurück und greift den Rest der Opposition um so härter an. So war es 1970 nach der Unterzeichnung des Autonomiestatuts, so war es 1984 nach den Verhandlungen mit Jalal Talabani. Trotzdem ist ein endgültiges Urteil verfrüht. Man muß erst einmal abwarten, was aus der nächsten Verhandlungsrunde herauskommt.

Dr. Shaaban: Verhandlungen sind eine von vielen Formen des politischen Kampfes, die man nicht generell ablehnen darf. Nur darf der Dialog nicht um des Dialoges willen geführt werden. Unsere Vorbedingungen für Verhandlungen sind: die Aufhebung aller Ausnahmegesetze, Freilassung aller politischen Gefangenen und die Auflösung der Geheimdienstapparate. Und ein Dialog muß die Forderungen der gesamten Opposition miteinbeziehen: eine demokratische Ordnung, politischer und ideologischer Pluralismus und freie Wahlen unter Aufsicht der UNO. Ohne internationale Garantien ist ein demokratischer Wandel im Irak illusorisch.

Salah Amr Ali: Das irakische Regime hat in seiner Geschichte bewiesen, daß es demokratieunfähig ist.

Noch vor ein paar Wochen klang es bei den irakischen Oppositionellen, als werde Saddam Hussein in wenigen Tagen fallen. Warum ist er noch immer an der Macht?

Dr. Shaaban: Es gibt mehrere Gründe: Vor allem gab es keine Führung des Aufstandes. Ein weiterer Grund ist die Einmischung einiger Nachbarstaaten in die inneren Angelegenheiten des Iraks. Das hat es Saddam Hussein erleichtert, seine Kräfte wieder um sich zu scharen. Auch im Ausland haben viele, die anfänglich den Sturz Saddam Hussein wollten, v.a. die Amerikaner, ihre Meinung wieder geändert. Sie stellten sich die Frage: Ist die Opposition wirklich in der Lage, Saddam Hussein zu stürzen, und wenn ja, im Interesse welcher Regionalmacht? Und sie befürchten, daß eine neue Regierung die demütigenden Waffenstillstandsbedingungen nicht erfüllt.

Das hieße, sie wollen Saddam Hussein an der Macht halten.

Dr. Shaaban: Sie wollen Saddam Hussein halten, jedoch am Rande des Abgrunds. Und andererseits ermuntern sie die Volksbewegung weiterzumachen, aber ohne eine wirkliche Perspektive des Sieges. Die beiden Seiten sollen sich gegenseitig ausbluten, bis man die geeignete Alternative gefunden hat.

Die USA sind mit Unterstützung der anderen Alliierten dabei, im Nordirak Flüchtlingslager in von ihnen kontrollierten Sicherheitszonen zu errichten. Ist das ein Eingriff in die Souveränität des Iraks?

Dr. Shaaban: Ja. Auf der anderen Seite haben wir es jedoch mit einer menschlichen Tragödie zu tun: Was soll mit den Flüchtlingen passieren? Natürlich hätten wir uns die Bildung von „Save Havens“ unter Führung der UNO vorstellen können.

Wollen die USA in den Flüchtlingslagern den Widerstand gegen Saddam Hussein rekrutieren, eine irakische „Contra“?

Dr. Shaaban: Ich glaube nicht, daß es Voraussetzungen dafür gibt. Die kurdische Bewegung hat deutlich gemacht, daß die Alliierten das Land wieder zu verlassen haben, falls ein Abkommen mit Bagdad geschlossen wird.

Befürchten Sie, daß die Errichtung von Sicherheitszonen der erste Schritt zur Teilung des Iraks ist?

Salah Amr Ali: Ich glaube nicht, daß die regionale und internationale Situation das zuläßt. Außerdem gibt es im Irak keine einzige kurdische Organisation, die das wollte. Alle fordern Autonomie.

Der Plan zur Errichtung von „Save Havens“ soll nach Informationen des britischen Unterhaus- Abgeordneten Townsend auf einen Gedanken des türkischen Ministerpräsidenten Özal zurückgehen.

Dr. Shaaban: Die Türkei, aber auch der Iran befürchtet, daß sich das Kurdenproblem auf ihr Land ausweitet. Deswegen wollen sie, daß die Flüchtlinge im Irak bleiben.

Akzeptieren Sie die Forderung im Waffenstillstandsabkommen nach weitgehender Abrüstung des Iraks?

Dr. Alawi: Wir sind für die Vernichtung von Massenvernichtungswaffen, aber das muß die ganze Region einschließen und gilt genauso für Israel. Nach all den Massakern und Menschenrechtsverletzungen im Irak hatten wir eigentlich gehofft, daß der UN-Sicherheitsrat die Forderung nach Beendigung des Tötens im Irak ganz obenan gestellt hätte. Der Abbau der Wirtschaftssanktionen hätte an demokratische Reformen geknüpft werden sollen. Interview: Ivesa Lübben