: Höllenlärm und Tropenhitze
■ Der Schausteller Wolfgang Günther, Filmvorführer im 3-D-Kino des Kulturparks im Plänterwald, wechselte vor ein paar Jahren vom Zahnarztberuf ins Geschäft des organisierten Vergnügens
Treptow. »Ich bin tropenfest«, schreit der Mann, und zwei dicke Schweißtropfen rinnen aus seinem silbrigweißen Haaransatz über das gebräunte Gesicht, suchen sich ihre Bahn durch die Furchen neben den Augen, um dann irgendwo in der Gegend der Mundwinkel zu versickern. Tropenfest muß der 61jährige sein, denn neben höllischem Lärm herrschen an seinem Arbeitsplatz Temperaturen um die 50 Grad, im Hochsommer auch schon mal mehr.
Wolfgang Günther steht in einer kleinen Kabine neben einem 4.000 Watt starken und heißen Filmprojektor, der knatternd bewegte Bilder auf die gewölbte Leinwand hinter der Glasscheibe wirft. Draußen im Kassenhäuschen des »Cinema 2000« hüstelt eine Frau in regelmäßigen Abständen in ein Mikrofon, um dann die vorbeiziehenden Besucher des Rummels im Plänterwald zu einer Vorstellung zu locken. Drinnen wacht Günther schwitzend über seinen Filmen.
Alle zwölf Minuten sind die Rollen abgelaufen. Während er sie herunterwuchtet, zurückspult und eine neue einsetzt, füllt sich die Kuppel des Kinos mit neuen Besuchern, die für eine Mark einen kurzen Abstecher in die dreidimensionale Welt amerikanischer Actionfilme machen wollen. Alle zwölf Minuten die gleichen Handbewegungen, von morgens bis abends, eine ganze Saison lang.
»Die Schaustellerei ist kein einfaches Geschäft«, sagt Wolfgang Günther lakonisch. Er ist eigentlich recht zufällig in dieses Geschäft geraten. Die Frau an der Kasse ruft ihn »Herr Doktor«, und die Leute vom Rummel sagen sogar manchmal »Herr Medizinalrat« zu ihm: Anspielungen auf seinen eigentlichen Beruf, Zahnarzt. Als er nach einem Unfall nicht mehr laufen und stehen konnte, gab er den Gedanken an eine Rückkehr in seine Arztpraxis auf.
Damals war er schon zu den »Staßfurtern« gestoßen. Die Staßfurter, das ist die Firma Rolf Deichsel, die in Berlin und Staßfurt ansässig ist und schon seit 15 Jahren in privatem Besitz war. Ihr gehören unter anderem ein Autohandel und die Pferdebahn im Kulturpark Plänterwald. Für Wolfgang Günther bedeutet die Firma ein Stück Freiheit. »Ich habe mich an keine Partei gebunden gefühlt«, sagt er und setzt hinzu: »Da gab es natürlich auch härtere Zeiten.« Er habe aber nie verzweifelt, sondern immer etwas zu tun gefunden. Seit fünf Jahren ist er jetzt bei den Staßfurtern, seit letztem Jahr arbeitet er im »Cinema 2000«. Während er erzählt, wirft er immer mal wieder einen prüfenden Blick auf den laufenden Film, den er, wie das restliche Dutzend, auswendig kennt. Am Projektor hängt ein Metallschild, »Défense de fumer«, kleine Schildchen über diversen Schaltern verweisen auf »éclairage « und »air«: Das gesamte Kino ist vor ein paar Jahren einem belgischen Schausteller abgekauft worden. Das war schwierig zu Zeiten, als gerade für private Firmen wie Deichsel Westkontakte äußerst selten waren.
Fürchten die Ost-Schausteller jetzt die westdeutsche Rummelkonkurrenz? Noch gebe es keine Schwierigkeiten, meint Günther, noch zögen alle am gleichen Strang. Keiner kann es sich leisten, die Eintrittspreise drastisch zu erhöhen, sonst bleiben die Leute aus. Wird er in der nächsten Saison wieder an seinem Platz stehen? Er zuckt mit den Schultern. Die Besitzer der Schaubuden wechseln alle paar Jahre. »Im Schaustellergeschäft geht alles immer im Kreis.« Karen Pfundt
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