Klang, Schall, Ton

■ Die Komponistin Younghi Pagh-Paan in der Reihe »Klangportraits«

Begabung ist eine Aufgabe«, hat Käthe Kollwitz gesagt. »Meine Begabung ist Komponieren. Ich habe die Aufgabe, Klänge zu machen«, sagt die Koreanerin Younghi Pagh-Paan. Sie selbst und einige ihrer Kompositionen wurden am Freitag im Otto-Braun-Saal in der Reihe »Klangportraits« vorgestellt. Je öfter jedoch das Wort »Klang« auftaucht, desto unklarer wird es. »Klang«, das sei zum einen »Schall«, zum anderen »Ton«, sei aber auch »das Zusammentönen von mehreren einfachen Tönen«, steht im Wörterbuch. Demnach ist Klang der Ton und die Wiedergabe eines Tones in einem — oder auch einfach ein Wort, das nicht weiter reduziert werden kann. Beide Aspekte, die Verdoppelung und die Reduktion, sind jedoch gestalterische Momente, die die Arbeiten der seit 17 Jahren in Deutschland lebenden Künstlerin kennzeichnen.

Younghi Pagh-Paan sagt, sie komponiere so, wie die chinesischen Maler zeichnen. Diese schauen sich eine Landschaft so lange an, bis sie sie in sich aufgenommen haben. Dann nehmen sie den Pinsel und zeichnen die Landschaft mit einmalig gesetzten Strichen aufs Papier. Nichts kann daran verbessert werden. Wenn die Wiedergabe des Aufgenommenen nicht stimmt, muß neu begonnen werden. Auf diese Art kommen die chinesischen Maler zu einer reinen Abstraktion der Landschaft. Younghi Pagh-Paans Stücke tragen oft nur noch Wörter wie »Begegnung« (Man-Nam) oder »weißer Schnee« (Hin-Nun) oder »Knoten — auch Gelenk, Takt, Taktstrich« (Madi) als Titel. »Madi« bezeichnet auch das Bild, welches den tiefsten Schmerz des menschlichen Herzens benenne, denn in der Seele jedes Menschen gebe es etwas eng Verknotetes und Verknüpftes.

Für mich ist das Stück Madi das Gelenk, das asymmetrische und arhythmische Bewegungen von Knoten-Knochen und Körper-Teilen in verschiedene Richtungen zusammenhält. Die Bewegungen verursachen Unruhe nach außen und werden von innen durch die Knochengelenke strukturiert. Tatsächlich spielen die zwölf Instrumentalisten des Stückes innerhalb eines festgelegten hohen und tiefen Tones verschiedene rhythmische Strukturen, die aber durch Gongschläge und Pausen immer wieder für kurze Augenblicke zusammengeführt und danach, mit neuen musikalischen Elementen ausgestattet, erneut in verschiedene rhythmische Richtungen entlassen werden. Ein asymmetrisches Vibrieren und Zittern entsteht, ein musikalisches Gehen, Springen, Rennen und Wiederkommen. Es ist Musik der Bewegungsverben, mit »sein« konjugiert, nicht mit »haben«.

Sie brauche viel Zeit fürs Komponieren, sagt Younghi Pagh-Paan. Und sie möchte nichts Überflüssiges machen, da ohnehin schon zu viel produziert werde. Das Werkverzeichnis der 45jährigen umfaßt ungefähr 15 Stücke. Begonnen zu komponieren habe sie, als sie nach Deutschland gekommen sei, um den Schmerz, den Kulturschock zu überwinden. Die Komponistin allerdings wehrt sich dagegen, daß ihre Musik zu sehr auf ihre koreanische Herkunft und auf die Auseinandersetzung mit der ihr erst einmal fremden, deutschen Kultur bezogen wird. Amerikaner haben auch einen Kulturschock, wenn sie nach Deutschland kommen. »Als ich das merkte, bekam ich wieder einen Schock«, sagt sie. Ihre Kompositionen sind aus der Berührung mit der deutschen Kultur entstanden, und diese Erfahrung wird verallgemeinert. Die koreanische Musik hat keine vertikale, also keine akkordische Dimension, keine Gleichzeitigkeit verschiedener Töne. Indem aber die Horizontale, also zeitliche Struktur sich in einem Raum bricht, wird der ganze Raum als Klangraum mitempfunden, ohne daß man ihn konkret hört. Die koreanische Komponistin versucht, diesen Klangraum in westliche, also auf Akkorde aufbauende Strukturen zu übersetzen, auch dann, wenn sie auf koreanische Formen wie die epischen koreanischen Gesänge Pansori oder Kagog zurückgreift.

Ein Element ihrer Musik, das trotz allem nicht ohne asiatische Bezüge zu denken ist, ist ihre Bevorzugung der Schlaginstrumente. Sie mag sie, weil sie das Leben mag. Das Leben aber sei Geräusch, und Schlagzeug ist das einfachste Geräusch. In fast allen ihren Stücken gibt es Schlaginstrumente, wenn nicht, soll die klangliche Qualität der Schlagwerke durch andere Instrumente erzeugt werden. Nach dem Stück Begegnung, das für Altflöte und Streichtrio komponiert wurde, fragte die Komponistin am Ende in den Zuschauerraum, ob wir das Schlagzeug im Cello gehört hätten. »Sagen sie nicht nein. Wenn sie nein sagen, muß ich es verbessern. Waltraud Schwab