Zehn Wochen, die Nordirland verändern sollen

Eine neue Verhandlungsrunde des britischen Nordirland-Ministers mit ausgewählten nordirischen Parteien soll das gescheiterte Hillsborough-Abkommen von 1985 ablösen/ Doch die Gespräche drohen bereits zu scheitern, bevor sie richtig begonnen haben: Streitpunkt ist der Verhandlungsort  ■ Aus Belfast Ralf Sotscheck

Das nordirische politische System, das den höchsten Prozentsatz von Gefangenen — gemessen an der Bevölkerungszahl — in ganz Europa produziert hat, ist nicht reformierbar. Das mußten bisher sieben britische Nordirland-Minister einsehen, deren Initiativen allesamt scheiterten. Peter Brooke, der dieses Amt seit knapp zwei Jahren bekleidet, müssen zwar durchaus ehrliche Absichten unterstellt werden, doch einen neuen Ansatz zur Lösung des Konflikts hat er nicht. Es ist alles schon mal probiert worden: ein nordirisches Parlament mit Mehrheitsregierung, Machtbeteiligung der katholischen Sozialdemokraten (SDLP), Direktherrschaft von London. Lediglich der britische Rückzug aus der Kolonie wurde noch nicht versucht. Doch der steht bei der neuen Verhandlungsrunde, die vergangenen Dienstag in Belfast begann, nicht zur Debatte.

Die Gespräche drohen bereits zusammenzubrechen, kaum daß sie begonnen haben. Bisher ging es darum, sich auf eine Tagesordnung für die drei Phasen der Verhandlungen zu einigen. Darüber wurde jedoch keineswegs gemeinsam diskutiert, sondern jede Partei traf zu Einzelgesprächen mit Brooke zusammen. Dabei traten am Wochenende bereits die ersten Meinungsverschiedenheiten auf: Die zweite Phase, in der die Beziehungen zwischen Nord- und Südirland unter Einbeziehung der Dubliner Regierung auf der Tagesordnung stehen, soll zumindest teilweise in Dublin stattfinden. Das fordern die SDLP und die irische Regierung. Die Führer der Unionisten, Ian Paisley und James Molyneaux, haben dagegen deutlich gemacht, daß sie keinen Fuß auf südirischen Boden setzen werden, solange die Republik in ihrer Verfassung Anspruch auf Nordirland erhebt. Das erste Zusammentreffen aller Parteien am „Runden Tisch“, das für morgen angesetzt war, mußte daher bereits verschoben werden, damit Brooke einen Kompromiß aushandeln kann.

Worin besteht das Nordirland-Problem?

Wenn die Fronten aber schon bei solchen Symbolismen verhärtet sind, wie wollen sich die Parteien dann innerhalb von zehn Wochen über substantielle Fragen einigen? Schließlich steht selbst die Definition des Nordirland-Problems noch aus. Es kommt ganz auf den Standpunkt an: Den Unionisten geht es darum, die Union mit Großbritannien zu bekräftigen und Dublins Rolle in nordirischen Angelegenheiten zu minimieren. Insofern haben die Unionisten ein größeres Interesse an den Gesprächen, als die irische Regierung und die SDLP, die sich auf das anglo- irische Abkommen von 1985 zurückziehen können. Dieses Abkommen, das für die Dauer der Gespräche auf Eis gelegt wurde, hatte angeblich das Ziel, die „Entfremdung der katholischen Minderheit vom nordirischen Staat“ aufzuheben.

Davon ist man jedoch genauso weit entfernt wie vor 20 Jahren. Die Arbeitslosigkeit unter Katholiken beträgt nach wie vor das Doppelte bis Dreifache im Vergleich zu den Protestanten. Auf der Falls Road in West-Belfast liegt diese Zahl bei über 50 Prozent. Dazu kommt, daß die Arbeitsplätze der Katholiken im allgemeinen schlechter bezahlt sind. Während früher die vornehmlich protestantischen Arbeitgeber bevorzugt Mitglieder der eigenen Bevölkerungsgruppe einstellten, hat sich an der diskriminierenden Jobvergabe auch nach der Öffnung der nordirischen Wirtschaft für internationale Investoren in den sechziger und siebziger Jahren nichts geändert.

Die protestantische Provinzregierung hatte bis zur Londoner Direktherrschaft im Jahr 1972 die öffentlichen Gelder fast ausschließlich in protestantischen Gebieten eingesetzt und dadurch eine weitaus bessere Infrastruktur als in katholischen Vierteln geschaffen. Das wirkt bis heute nach: Ausländische Unternehmen investieren noch immer bevorzugt in protestantischen Gebieten. Daran können auch Antidiskriminierungsgesetze nichts ändern. Ihre Durchsetzung wäre investitionsfeindlich, heißt es von offizieller Seite. Für Katholiken ist es jedoch lebensgefährlich, in protestantischen Gebieten zu arbeiten.

Und greifen die Arbeitslosen im katholischen West-Belfast zur Selbsthilfe, wird ihnen flugs der Geldhahn zugedreht: Die dortigen Kooperativen erhalten seit Jahren keine finanzielle Unterstützung mehr, weil sie angeblich paramilitärischen Organisationen nahestehen. Siedeln sie sich anderswo an, fließt der staatliche Geldsegen wieder.

Hinter der diskriminierenden Jobvergabe steckt bei den Protestanten eine reale Angst: Sollte es den Katholiken zu gut gehen, müßten sie nicht mehr auswandern. Bisher konnte die traditionell höhere Geburtenrate der Katholiken dadurch kompensiert werden, daß viele zur Auswanderung gezwungen waren. Sollte das nicht mehr der Fall sein, könnten sich die Mehrheitsverhälnisse in Nordirland allmählich ändern. Und im anglo-irischen Abkommen heißt es, daß Nordirland integraler Teil des Vereinigten Königreichs bleibt, solange das die Mehrheit der Bevölkerung wünscht. Um nicht in ein vereinigtes Irland „hineingebrütet“ zu werden, vögeln die Protestanten um die Wette: Auch ihre Geburtenrate liegt weit über britischem Durchschnitt — Kinder für die politische Vormachtstellung.

Mit Gottes Hilfe zum politischen Wunder

Während der gesamten zehn Wochen, in denen der Konflikt gelöst werden soll, findet täglich ein interkonfessioneller Gottesdienst in der Belfaster St.-Anne's-Kathedrale statt, bei dem für einen Erfolg der Verhandlungen gebetet wird. Doch solange es an ernsthaftem Willen mangelt, eine dauerhafte politische Lösung zu finden, kann auch Gottes Hilfe nichts ausrichten. Und Zweifel am Willen der britischen Regierung sind durchaus angebracht.

Zwar begrüßte man es, als die südafrikanische Regierung die Verhandlungen mit dem ANC aufnahm und dieser die militärische Kampagne einstellte, doch in Nordirland mit seinen apartheidähnlichen Strukturen bleiben über 30 Prozent der Minderheit — die gewählten VertereterInnen von Sinn Fein — von der Debatte um eine Lösung ausgeschlossen. „Die britische Weigerung, die Rechte der Sinn FeinwählerInnen anzuerkennen, zeigt, daß sie nichts aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt haben“, sagt Sheena Campbell von Sinn Fein. „Es sieht so aus, als ob Brookes Initiative dazu bestimmt ist, diese Fehler zu wiederholen.“

Die nordirische Suppe hat sich London selbst eingebrockt. Das beste Ergebnis, das sich die britische Regierung von den Verhandlungen erhoffen kann, ist ein Flickwerk, mit dem die Probleme für eine Weile überdeckt und die paramilitärischen Organisationen in den Hintergrund gedrängt werden können. Solange sich jedoch an den Strukturen des nordirischen Staatengebildes nichts ändert, wird die nächste Generation spätestens in zehn Jahren wieder zu den Waffen greifen.