Mörderische „Ruhe und Ordnung“ in Soweto

In dem schwarzen Township bei Johannesburg sind während der letzten Woche über 100 Menschen umgebracht worden Die Strategie von Südafrikas Polizei gibt viele Rätsel auf/ Präsident de Klerk kündigt Reform der Sicherheitsgesetze an  ■ Aus Johannesburg Willi Germund

Nur der Lohnzettel neben der schmorenden Leiche ermöglichte die Identifizierung: P.H. Hlongwane war am Freitag auf dem Weg nach Hause, als er von Bewohnern des Dobe-Wohnheims in Soweto heimtückisch umgebracht wurde. Sie hatten den Arbeiter in das Wohnheim gelockt — mit dem Versprechen, ihn vor Zusammenstößen schützen zu wollen. Wie Hlongwane wurde ein weiterer Mann ermordet und die Leiche dann verbrannt.

Über 100 Tote gab es während der letzten Woche in Soweto. Aber obwohl der Zahltag zum Monatsende immer zu den blutigsten Zeiten in Soweto gehört, flachten die Konflikte am Wochenende etwas ab. Der Grund: Erstmals setzte Südafrikas Polizei ein Versprechen um. Von Freitag auf Samstag durchsuchten 2.000 Polizisten mehrere Wohnheime und sammelten Waffen ein.

Die Ausbeute der Großrazzia war mager. Denn eine Stunde vor Beginn der Durchsuchungsaktion war die Nachricht von der Polizeiaktion bereits über einen der meist gehörtesten Rundfunksender verbreitet worden. Der ANC wurde schon einen Tag früher informiert. So beschlagnahmte die Polizei zwar einen Revolver, der in einem Stück Fleisch versteckt war. Aber die meisten Wohnheimbewohner machten sich vor der Polizei davon.

„Knöpft euch mal Mandela vor“

Bei anderen kapitulierten die Beamten. Im Wolhuter-Wohnheim versammelten sich die rund 300 Bewohner, alle Anhänger der „Inkatha“-Bewegung. Sturzbetrunken drohten sie, mit ihren Speeren und Knüppeln auf die Polizei loszugehen. Während Südafrikas Sicherheitskräfte sich sonst nie scheuen, von ihren Schußwaffen Gebrauch zu machen, verzichteten sie diesmal.

Ein Polizist bewies vor laufender Kamera seine Sympathien: „Dann knöpft euch mal Mandela vor,“ ermunterte er eine Gruppe von Inkatha-Anhängern mit roten Stirnbändern. Sensationell für Südafrika: Der Beamte wurde nicht nur vom Dienst suspendiert — auch das staatlich gelenkte Fernsehen brachte den Beamten im Originalton. Offensichtlich wollte die Regierung von Präsident Frederik de Klerk andere Polizeibeamte vor ähnlichem Verhalten warnen.

Polizei „hielt sich zurück“

Ausgelöst wurden die Konflikte in Soweto, als Inkatha-Anhänger am letzten Wochenende während eines Begräbnisses Amok liefen. Sie fielen über unbeteiligte Anwohner her, während die Polizei sich wieder einmal „zurückhielt“. Die Demonstrationen zum 1. Mai heizten das Klima dann weiter an. Versuche, dem Gemetzel durch Verhandlungen ein Ende zu bereiten, scheiterten. Zwar war für Freitag ein Treffen zwischen ANC und Inkatha in Soweto vorgesehen. Aber Themba Khoza, der Inkatha-Chef in der Johannesburger Gegend, ließ den Termin abblasen. Begründung: Sowetos Inkatha-Vertreter hätten die Begegnung nicht mit ihm abgesprochen.

Gestern machte Inkatha deutlich, daß sie ihre Vorstellung von „Ruhe und Ordnung“ auf eigene Faust durchsetzen will. Am Rande einer Veranstaltung, bei der auch Vorsitzender Buthelezi sprach, erklärte Muntu Myeni, Vorstandsmitglied von Inkatha: „Wir geben dem Afrikanischen Nationalkongreß noch sieben Tage, um Schluß mit der Gewalt zu machen. Wenn das nicht passiert, werden wir unsere Leute mit guten Waffen nach Soweto schicken.“ 100.000 Mann würden jede Straßenecke kontrollieren und „Kriminelle niedermachen“. Diese könnten anschließend von den Sicherheitskräften „eingesammelt“ werden.

Myeni, ein Absolvent der US- Harvard-Universität, weiter: „Da die Polizei zusammen mit dem ANC jetzt die Wohnheime durchsucht, hat sie ja keine Zeit, für Ruhe und Ordnung zu sorgen.“ Laut dem Inkatha- Führungsmitglied will die Organisation so verhindern, daß die gegenwärtige Gewaltwelle aus den südafrikanischen Townships auch in die weißen Wohnviertel überschwappt. Die selbsternannten „Ordnungshüter“ würden nicht an der Kleidung zu erkennen sein, sondern nur an ihren Taten. Die Drohung, solche Todesschwadrone loszuschicken, droht die Aussichten, die sich zuspitzende Lage in Südafrika zu entschärfen, weiter zu verringern.

Das Verhalten der Polizei zeigt jedoch, daß Südafrikas Regierung sich scheinbar zum Handeln entschlossen hat. Am 9. Mai, Christi Himmelfahrt, läuft das Ultimatum des ANC ab. Er hatte gedroht, alle weiteren Verhandlungen platzen zu lassen, falls die Regierung nichts gegen die Gewaltwelle unternehmen würde. Nach wochenlangem Zögern verkündete de Klerk dann am letzten Donnerstag einen Zehn-Punkte- Plan. Danach will er eine Kommission zur Untersuchung von Polizeiübergriffen einrichten und den Besitz von Waffen stärker kontrollieren lassen. Weiterhin sollten die Bestimmungen der Sicherheitsgesetze, „die den demokratischen Prozeß behindern“, abgeschafft werden. Der südafrikanische „Internal Security Act“ erlaubt Verhaftung ohne Anklage, politische Verfolgung und die „Verbannung“ Verurteilter; außerdem erlaubt er der Regierung, Organisationen, Publikationen und Demonstrationen zu verbieten. Die Reform der Sicherheitsgesetze ist eine der Ultimatumsbedingungen des ANC.

„Nennen Sie dies einen Zehn- Punkte-Plan, wenn Sie wollen“, sagte de Klerk vor dem Parlament. „Tatsache ist, daß ein umfassender Aktionsplan in Ausführung oder im Begriff der Durchführung ist. Doch können diese Maßnahmen nur Erfolg haben, wenn wir die Mitarbeit der Öffentlichkeit und jedes Führers erhalten.“ Damit war vor allem der ANC gemeint, der die für den 24. und 25. Mai von der Regierung geplante Allparteienkonferenz zur Gewalt bislang zumindest öffentlich ablehnt. Präsident de Klerk: „Die Regierung muß ihre Sorge über Tendenzen zur Radikalisierung innerhalb dieser Organisation zum Ausdruck bringen.“

Der Plan wurde zunächst als nicht aureichendes Entgegenkommen gegenüber dem ANC interpretiert. Mittlerweile aber scheint die Führung um Nelson Mandela die Ankündigung von de Klerk recht positiv zu bewerten, obwohl eine offizielle Annahme des Planes gestern nachmittag noch ausstand.

In seiner Parlamentsrede vom Donnerstag hatte de Klerk außerdem erklärt, die Überlegung einer Übergangsregierung unter Beteiligung „kompetenter Südafrikaner“ verdiene „ernsthafte Prüfung“. Diese Äußerung wurde als mögliche Bereitschaft de Klerks gewertet, Schwarze in eine Übergangsregierung aufzunehmen.

Johannesburg (sacn) — Frank Chikane, Generalsekretär des Südafrikanischen Kirchenrates, traf am Freitag nachmittag Präsident de Klerk, um einen Zusammenbruch des Verhandlungsprozesses mit dem ANC zu verhindern. Er sagte, die Regierung sei in der Gewaltfrage gescheitert. Die anhaltende Gewalt bestätige Warnungen des ANC, daß bestimmte Gruppen im Vorfeld des 9.Mai in den Townships „eine Situation schaffen wollen, in der zwischen der Regierung de Klerk und dem ANC kein Übereinkommen mehr möglich ist“.

Der ANC hatte letzte Woche die Regierung beschuldigt, ehemalige Mitglieder der für ihre Brutalität in Namibia berüchtigten „Koevoet“- Sondereinheit der südafrikanischen Armee zur militärischen Ausbildung von Inkatha-Mitgliedern zu benutzen.