Bundeswehr versilbert Eisernen Vorhang

■ Die Einzelteile der einstigen innerdeutschen Grenzanlagen sind ein echter Marktrenner/ Die beliebten DDR-Grenzsäulen kosten bis zu 200 Mark/ Auf Wunsch werden sie schwarz-rot-gold bemalt

Stendal. Der Eiserne Vorhang ist längst gefallen, doch seine Teile erfahren eine unerwartete Wiederauferstehung. Streckmetallplatten und Betonpfeiler der ehemaligen innerdeutschen Grenze zäunen heute statt einer Republik Wildgehege und Firmengelände ein, Fahrspurplatten festigen statt Kolonnenwegen Feld- und Wiesenwege, und Betongitterplatten finden Verwendung als Hofpflaster — die Bundeswehr, die derzeit bei der Abwicklung der ehemaligen Grenztruppen der DDR die Bundeskasse auffüllt, macht's möglich.

„Wir verkaufen alles, was aus den ehemaligen Grenzanlagen abgebaut wird“, sagt Oberstleutnant Paul Hillebrand, Beratungsoffizier beim Auflösungskommando der ehemaligen Grenztruppen in Stendal. Für Kunden gibt es eine mehrseitige Preisliste. Die Betonsäule (2,90 Meter) ist, je nach Zustand, für drei bis fünf Mark zu haben, die verzinkte Streckmetallplatte (drei mal 1,50 Meter) kommt auf acht bis 16 Mark, und für eine Fahrspurplatte (drei Meter lang, ein Meter breit, 30 Zentimeter dick) muß der Kunde 20 bis 50 Mark an die Bundeswehrkasse in Strausberg überweisen.

Etwas teurer kommen die bekannten DDR-Grenzsäulen (100 bis 200 Mark), bei denen aber, weil Reserveexemplare, die typische schwarz- rot-goldene Farbe fehlt. „Auf Wunsch malen wir die an“, sagt Hillebrand. Grenztürme werden nur verkauft, wenn der Antragsteller Eigentümer des Grund und Bodens ist, auf dem der Turm steht. 40 Kaufanträge blieben bisher unberücksichtigt, weil diese Voraussetzung fehlt.

Das Auflösungskommando Stendal ist für den Abbau der Grenzanlagen im gesamten Bereich von der Ostsee bis zum Harz zuständig. Ihm sind Nachkommandos in Rostock, Schönberg, Grabow, Salzwedel, Kalbe/Milde und Halberstadt unterstellt. Jedes der Nachkommandos hat ein eigenes Warenlager, wo sich Grenzsäulen und -steine, Betonpfeiler und -platten, Bruchstücke von Grenztürmen und Gassentore stapeln. „Hauptsächlich die Sachen gehen gut, die man ohne Hebekran mitnehmen kann“, sagt der Lagerverwalter Lothar Grimm im Lager Peckwitz (Kreis Gardelegen), das zum Nachkommando Kalbe gehört. Der Renner sind hier Betongitterplatten (90 mal 60 Zentimeter) zu zwei Mark, die sich als Pflaster für die Garageneinfahrt genauso gut eignen wie zur Grubenauskleidung. Ladenhüter sind die Grenztore vom Signalzaun: Es fehlen die Torpfosten.

Für rund 300.000 Mark hat Oberstleutnant Hillebrand in seinem Bereich seit Januar Grenzmaterial versilbern können. Ein Schrotthändler aus Salzgitter schloß gleich einen Rahmenvertrag ab, und 600 Zelte wurden an einen einzigen Kunden gebracht. Ein ganz dicker Brocken kommt in diesem Monat unter den Hammer: Die Brockenmauer. Die 2.274 Mauerteile — jedes 2,75 Tonnen schwer, 3,50 Meter hoch und 1,20 Meter breit — will Hillebrand versteigern, Mindestgebot 80 Mark pro Teil. Sie könnten nach Ansicht des Oberstleutnants bei der Bergsicherung oder der Abstützung von Kiesgruben zum Einsatz kommen.

Viel Zeit hat Hillebrand nicht mehr, denn das Auflösungskommando, in dem jetzt noch 786 Ex- DDR-Grenzsoldaten als Angestellte der Bundeswehr mit Abbauarbeiten beschäftigt sind, wird am 30. September aufgelöst. Bis dahin wird nach Einschätzung des aus Hannover stammenden Oberstleutnants nur etwa die Hälfte der ehemaligen Grenzanlagen abgebaut sein, wobei er damit rechnet, nicht alles verkaufen zu können: „Wir haben noch so viele Bestände, ich könnte Tausende Viehkoppeln einzäunen.“ Klaus Blume (dpa)