Zaun eint Nachbarn

■ Zwei Oberneuländer Familien treffen sich regelmäßig vor Bremer Gerichten

Runde zwei Meter hoch ist der Zaun, der seit einigen Jahren den Mittelpunkt des nachbarschaftlichen Lebens der Familien Schneider und Vogel (Namen geändert) bildet. Immer wieder hat die unübersehbare Grenze zwischen den beiden Grundstücken in einer kleinen Sackgasse im schönsten Teil Oberneulands die beiden Familien zusammengeführt: In mehreren Instanzen vor Bremens Zivilgerichten und gestern auch noch vor Strafrichter Ulrich Hoffmann im Amtsgericht.

Anlaß des Gerichtstermins war eine der wenigen nachbarschaftlichen Begegnungen, die nicht auf neutralem Boden der Justiz, sondern direkt am Zaun stattfanden. Es war am 7. Mai 1990, 10 Uhr morgens, als Frau Schneider vom schrillen Klang einer Kettensäge von den Erdarbeiten an einem Beet aufschreckte. Zum Tatort geeilt, entdeckte sie Nachbar Vogel auf frischer Tat an ihrem Gartenzaun. Einige der stahlverstärkten Pfosten waren bereits gekappt, und Herr Vogel hieb munter mit einem Zimmermannshammer auf sie ein.

„Ich hatte nur noch Angst um mein Eigentum“, erinnerte sich Frau Schneider gestern an den schrecklichen Morgen, „ich war so aufgeregt, daß ich noch nichtmal den Notruf 110 wählen konnte.“ Stattdessen war sie mit zitternden Händen zum Zaun zurückgeeilt und hatte Nachbar Vogel den Hammer aus der Hand gerissen. Was dann geschah, ist zwischen den beiden Familien bis heute strittig und auch der Richter vermochte es nicht aufzuklären. Er stellte das Strafverfahren gegen 600 Mark Geldbuße für die Krebshilfe wieder ein, das die Staatsanwaltschaft wegen Körperverletzung gegen Nachbarin Schneider eingeleitet hatte.

„Ich kann ihnen auch nicht helfen“, hatte er den im Amtsgericht erschienenen Nachbarn zuvor gestanden, „irgendwann wird einer von ihnen wohl sein Haus verkaufen müssen.“

Doch davon wollten die Familien Schneider und Vogel gar nichts wissen. „Ich möchte nur meine Ruhe haben“, versicherte Frau Schneider, „ich möchte auch meine Ruhe haben“, entgegnete Herr Vogel. Schließlich ist man sich durch den jahrelangen Streit über den Zaun auf der gemeinsamen Grundstücksgrenze doch nachbarschaftliche nahe gekommen.

Mehrmals hatten die Sachverständigen verschiedener Gerichte ihre Meßlatte an Schneiders Zaun gelegt: Zu hoch und an einigen Stellen ein paar Zentimeter auf Nachbars Grundstück befanden sie. Am bitteren Ende des ersten Rechtsstreits hatte Herr Schneider zum Spaten gegriffen, die Pfosten etwas zurückversetzt und anschließend Erde vor dem Zaun aufgehäuft. Statt der zulässigen zwei Meter maß er noch 1,85 Meter.

Allerdings nur aus Richtung Schneider. Das Grundstück der Vogels überragte er nach wie vor um 2,15 Meter, denn dort befindet sich — so ein Zufall — direkt hinter dem Zaun ein kleiner Graben. Vogel klagte und erhielt vom Gericht einen „Ermächtigungsbeschluß“, den Zaun eigenhändig zu kappen.

Genau diesen „Ermächtigungsbeschluß“ hatte er Frau Schneider am Morgen des 7. Mai — mit „höhnischem Gelächter“, wie sie gestern sagte — über den bereits enthaupteten Zaun gereicht. „Zerrnknüllt und zerrissen“ habe Nachbarin Schneider das amtliche Papier, berichtete Vogel gestern empört dem Amtsgericht, und dann habe sie den Hammer geschwungen.

Das nächste Mal werden sich die Nachbarn am 28. Mai wiedersehen - dann wird über die Klage der Schneiders gegen den Ermächtigungsbeschluß für die Vogels verhandelt. Ase