Trübes Hurenschicksal

■ Dokumentarfilm über „Ein Leben nach dem Strich“, 23.15 Uhr, West 3

„Die Erinnerungen nimmt einem keiner, die bleiben“, sagt die 54jährige Tina und schluchzt. Vielleicht ist sie deshalb so traurig, weil sie weit zurückdenken muß, bevor sie über angenehme Erlebnisse erzählen kann. Vor ihr liegen Kindheitsfotos, Tina als Mannequin vor Berliner Stadtkulissen, ein hübsches Mädchen, das von einer Karriere als Modell zu träumen wagt. Heute hockt Tina allein in ihrer bescheidenen Wohnung, eine verhärmte, häßliche Frau, die sich nur noch um ihre Tiere kümmert, denn Menschen, vor allem Männer, sind ihr zutiefst zuwider. Sie trinkt, lebt von monatlich 500 DM Sozialhilfe; ihr Ausstieg aus dem Beruf endete in der Armut.

Tina war Prostituierte im Berliner Milieu, bediente die Phantasien der Männer, bis sie von den Kerlen angewidert war. Während sie anschaffen ging, verdiente sie eine Menge Geld, doch wie viele ihrer Kolleginnen schaffte sie es nie, etwas davon zurückzulegen. Deshalb ist das Leben nach dem Strich, das der Film von Gardi Deppe und Jossi Kaufmann aufzeichnet, häufig trostlos und ohne jede Perspektive. Nur wenige haben es geschafft wie die prominente Aussteigerin Pieke Biermann, die heute Schriftstellerin ist und die Zeit der Prostitution sogar als Emanzipation begreifen kann. In der Regel endet der Weg einer Prostituierten beim Sozialamt.

Der Film sagt nur wenig aus über die tatsächlichen Lebensumstände der Aussteigerinnen. Gardi Deppe nähert sich den Frauen mit einem eng abgesteckten Fragenkatalog, der die unsinnige Frage nach dem genauen Tagesablauf enthält, aber wenig Freiraum für die ganz unterschiedlichen Lebensgeschichten der Prostituierten läßt. Mit viel Gespür für die Allgemeinplätze des Lebens tastet sich der Film an ein Problem heran und läßt es dann links liegen. Auch die verarmte Tina muß nicht viel mehr beantworten als die entscheidende Frage: Wie ist Ihr Tagesablauf? „Lustig“, sagt sie, „man muß aufstehen.“ Man ahnt, daß diese Frau noch mehr zu sagen hätte, aber das kümmert die Autorin nicht. Bei diesem Film lohnt es sich, früher ins Bett zu gehen. Damit man morgens besser rauskommt. Oder: Wie verbringen Sie Ihren Tag? Christof Boy