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Auf der Bühne steht nur der Diskurs

Straub/Huillet inszenieren „Antigone“ von Hölderlin/Brecht auf Probebühne der Berliner Schaubühne  ■ Von Wilhelm Schmid

Wenn davon keine Spuren für die Zukunft bleiben, umso besser!“ Jean-Marie Straub tobt, ganz wie man ihn kennt und liebt. Nach der Aufführung verschwinde diese Inszenierung im Nichts; es sei gut, daß es noch etwas Vergängliches gebe. Straub echauffiert sich eine gute Viertelstunde lang, rennt, seinen Zigarillo im Mund kauend, kreuz und quer über die Bühne, als habe er seinen Auftritt und wäre selbst Antigone, die gegen die Macht kämpft. Die Macht, das ist heutzutage die Herrschaft der Medien, und zwar vor allem die „Video- Masche“, die er im Visier hat. Da hatte es ein junges Team tatsächlich gewagt, die Kamera aufzubauen. Sie wollten die Inszenierung wie jede andere für die Archive der Schaubühne aufzeichnen, aber da war Straub vor. Da gehe es nur ums Registrieren, Archivieren, Einschließen in einen „Bunker“, während es in Wahrheit auf das Sehen ankomme. Die Bourgoisie gehe unter, aber aus ihrem Untergang wolle sie noch einen Videoclip machen.

Eine moderne Tragödie spielt sich ab, die Tragödie der Moderne, mit einem Hauptdarsteller und einer Anzahl Statisten. Doch keine Sorge, das war nicht die Premiere, das war nur ein Vorspiel zu jenem Stück mit dem Jean-Marie Straub und Danièle Huillet, die Filmemacher, sich nun auf die Bühne begeben. DieAntigone von Sophokles ist angesagt — daß sie von der Schaubühne angekündigt wird mit dem Zusatz „von Bertolt Brecht“ geht nicht auf ihr Konto. In Wahrheit ist es die Antigone in der Übersetzung von Hölderlin, die von Brecht „bearbeitet“ wurde, und zwar ohne daß er der griechischen Sprache mächtig gewesen wäre.

Für Straub/Huillet ist die Brechtsche Verarbeitung eine Möglichkeit, langsam Abschied zu nehmen von Hölderlin, gleichsam auf der Schwelle noch einmal zurückblickend. Mit Antigone vollenden sie ihre Hölderlin-Trilogie, die 1986 begann, als sie den ersten Entwurf des Dramas Der Tod des Empedokles von Hölderlin verfilmten. Zwei Jahre danach folgte die Verfilmung des dritten Entwurfs, der sie den Titel Schwarze Sünde gaben. Auch von Antigone wird es einen Film geben.

Die existentielle Reduktion, die sie in den beiden ersten Teilen der Trilogie vornahmen, prägt nun auch die Fortsetzung auf der Bühne. Man sieht die Schauspieler in nahezu derselben statischen Haltung wie bei den Empedokles-Filmen, in ähnlichen antikisierenden Gewändern und in Sandalen. Drei bemalte Kulissenwände imaginieren die Ruinen des antiken Theaters von Segesta auf Sizilien und schaffen den Raum für die Bühne, über deren rohe Bretter hinweg der Blick zum Meer geht. Ab dieser Stelle wird auch der Film gedreht. Es ist eine spartanisch karge Landschaft, in der die einzige Bewegung von den Worten kommt und jede noch so leise Geste sofort im gleißenden Licht steht. Es sind Worte voller Intensität, die sich tief einprägen in der Stille. Nicht die erstarrte Form, der „Buchstabe“, sollte im Vordergrund seiner Übersetzung stehen, schrieb Hölderlin in seinen Anmerkungen zur Antigonä, sondern das Aufzeigen des Lebendigen, das den Buchstaben zugrundeliegt. Daher konnte seine Übertragung der Tragödie nicht buchstabengetreu sein, vielmehr mußte das — in Hölderlins Diktion — starre organische Wort ins lebendige Aorgische gebracht werden, wenn es dabei auch Wort blieb. So kommt es zu so schönen Formulierungen wie „Denn die Seele sang/ Mir träumend viel“ — so man buchstabengetreuer übersetzen könnte: „Weil immer wieder meine Seele warnend sprach.“

Um die Eigentümlichkeit des formalen, sprachlichen Ansatzes Hölderlins besser einschätzen zu können, genügt es, ihn gegen die zeitgleichen Bemühungen Schillers abzuheben. Denn Schiller betrachtete die antike Tragödie untermoralischen Aspekten und hielt sie für eine Kunstform, die in der Moderne ohne weiteres zu übertreffen wäre. Denn zur reinen Höhe „moralischer Uebereinstimmung“ habe sie sich ja nie erhoben. Christentum und Kantische Philosophie sind die Folien von denen Schiller seine Theorie des Tragischen abzieht. Scheiß Schiller. Vom „geheimen Kampfe“, den er mit ihm führe, spricht Hölderlin 1798 in einem Brief an ihn.

Für Hölderlins eigene Bemühungen ist die Frage nach der Form entscheidend, die Suche nach dem „kalkulablen Gesetz“, mit dessen Hilfe das Aorgische im Organischen zum Ausdruck zu bringen ist. Die Bedeutung dieses kalkulablen Gesetzes kann kaum überschätzt werden, denn ihm gemäß entwickelt sich „der ganze Mensch“. Es besteht im Wechsel der Töne. Das gilt für die gesamte Grundstruktur, jedoch auch für die Feinstruktur des Kunstwerks, also für das Versmaß, diesen Wechsel der Töne im Fortschreiten der Silben. Dabei wird ein Moment unentbehrlich — das, was man, wie Hölderlin sagt, „im Silbenmaße Zäsur heisst“, und was, gesprochen, der Atmung entspricht. Die Zäsur macht aus dem bloßen Wechsel der Töne das eigentlich tragische Gesetz. Die Zäsur bewirkt nämlich die „gegenrhythmische Unterbrechung“.

Das ist deswegen vorauszuschicken, weil Straub/Huillet alle Sorge dafür getragen haben, das Stück vom Versmaß tragen zu lassen. Es ist wohl nicht übertrieben, zu sagen, daß das, was sie an Antigone am meisten faszinierte, das antike Versmaß war, und die Faszination überträgt sich ohne weiteres aufs Publikum. Der Verzicht auf jedes schmückende Beiwerk erlaubt die volle Konzentration auf dieses Kunstwerk der Sprache, in dem sich alles abspielt. Die eigentliche Handlung, um die es geht, geschieht wie in der antiken Tragödie nicht auf der Bühne. Auf der Bühne steht nur der Diskurs. Im Diskurs zeichnet sich alles ab, was es an Geschehnissen, Affekten, Beziehungen, Bewertungen und sonstwelchen Strukturen gibt. Der Diskurs füllt vollständig den Raum. Er ist von einer Platizität, die sich in jedem Moment formt und verformt, und geht hin und her zwischen den Positionen, die sich widerstreiten und die letzten Endes zeitlos eingegraben sind.

Antigone rückt von Beginn an ins Zentrum, weil sie die „Satzung“ des Tyrannen Kreon verletzt. Sein Wort ist Gesetz, aber sie setzt das freie Wort dagegen, die Handlung aus freien Strücken, mit der sie der Macht, die über ihr Leben, ihren Tod verfügt, ins Gesicht spuckt. „Jedwede Satzung bricht sie“, beklagt sich Kreon. Antigone haut ihm dagegen seine maßlose Herrschaft um die Ohren und höhnt auch noch die, die stumm dabeistehen und durch ihr Schweigen die „Satzung“ legitimierten. Kreon überzeugt das Volk, weil er im Namen der „Ordnung“ spricht, für die er sich verantwortlich fühlt und die er hart wie einen Pflug ins Erdreich einzudrücken denkt. Er sorgt sich, daß die Stadt nicht „zu Schanden mir werde noch vollends“.

Es handelt sich um die Auseinandersetzung zwischen dem, der die Macht hat im Staat, und der Gegenmacht des einzelnen Individuums. Die Ethik des Individuums, die in der Beziehung zu sich und zum Anderen besteht, steht gegen die Moral, die sich auf positivistische Geltung der willkürlich gesetzten Rechtsnormen beruft. Es ist zugleich eine Auseinandersetzung mit der männlichen Macht, die der weibliche „Wahnsinn“, das „zornige Sebsterkennen“ entgegensteht. Hölderlin verlieh seiner Antigone Wahnsinn — da „heiliger Wahnsinn höchste menschliche Erscheinung“ ist, was bei Brecht etwas zu kurz kommt — und erhabenen Spott, erhaben nämlich über Kreons staatstragendes Geschwätz, „wohl der höchste Zug an der Antigonä“. Sie ist ausgestattet mit einer gewissen Erotik, und der Chor beschwört den „Geist der Lüste“ bevor sie den letzten Weg antritt.

Antigone auf einen solchen Widerstreit zurückzuführen, soll nicht heißen, daß sie damit allein zu erklären wäre, und Straub/Huillet entkommen auch hier, wie schon in den ersten beide Teilen der Trilogie, der Versuchung, die Vielzahl der Aspekte einer Reduktion zu unterziehen. Da ist zum Beispiel noch der blinde Seher Tiresias, der die Zäsur im Diskurs verkörpert, da er die Wahrheit sagt: Er ist der Repräsentant der göttlichen Macht, bezieht die Position Antigones und wirft Kreon Tyrannei vor. Damit eröffnet sich der Widerstreit zwischen Macht und Wahrheit. Kreon läßt sich nicht beirren und geht bis zum Äußersten in seiner Aussage, die wohl die stärkste Anspielung auf die Aktualität, in der diese Inszenierung entstand, enthält: „Krieg schafft neues Recht!“ Damit nimmt die Tragödie ihren Lauf, in der das Individuum den Tod findet, und schließlich die glanzvolle Macht des Staates untergeht. Ferner ist da dieser traumhafte Chor, der sein Gemurmel schon vor zweieinhalb Jahrtausenden erhoben hat und in der abendländischen Geschichte doch von unveränderter Aktualität geblieben ist: „Ungeheuer ist viel. Doch nichts/ Ungeheurer als der Mensch...“

So trägt Antigone vielleicht dazu bei, wie Hölderlin hoffte, „den Geist der Zeit verstehen zu lernen“. Mit geringeren Mitteln hat die Schaubühne wohl noch nie ein so großartiges Strück produziert. Es ist zugleich das Stärkste, was die Straubs je gemacht haben. Die Schauspieler tragen ihren guten Teil dazu bei, mit ebensoviel Disziplin wie Engagement: Astrid Ofner als Antigone, erstaunlicherweise ohne jede Bühnenausbildung; und der die Professionalität der Macht verkörpernde Werner Rehm, sowie der Chor der Thebanischen Alten (Hans Diehl, Michael Maassen, Rainer Philippi, Kurt Radeke) und all die anderen, die einzeln zu nennen wären. Das Publikum dankte es mit viel Applaus. Aber Straub wäre natürlich nicht Straub, wenn er sich damit zufriedengeben und nicht noch einen Auftritt, seinen eigenen, inszeniert hätte. Er verkündet also noch, wem er das Stück gewidmet wissen wollte: Georg von Rauch (dem Bruder des Empedokles-Darstellers Andreas von Rauch), den, wie er sagte, die Polizei in Kreuzberg in den siebziger Jahren ermordete, sowie den hunderttausend Irakern, die wir umgebracht hätten, unter „dem neuen Führer Grorge Bush“.

Friedrich Hölderlin/Bertolt Brecht: Antigone , Regie: Jean-Marie Straub/Danièle Huillet; mit Astrid Ofner, Werner Rehm u.a.; Probebühne der Schaubühne Berlin, Cuvrystraße 7. Nächste Aufführungen: 10., 11., 19. und 20.Mai.

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