piwik no script img

INTERVIEW„Leichte Lösungen gibt es nicht“

■ Der sowjetische Wissenschaftler Kiva Maidanik zur sowjetischen Position im Golfkrieg und zur Reform der UNO und ihrer künftigen Rolle

Kiva Maidanik ist Forschungsleiter am renommierten Moskauer „Institut für Weltwirtschaft und internationale Beziehungen“. Von 1985 an leitete Jewgeni Primakow das Institut, der im Auftrag Gorbatschows im Januar eine letzte, vergebliche Nahostreise antrat, um Saddam Hussein zu einem Kompromiß zu bewegen.

taz: Mit Ihrem Votum im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen im vergangenen November hat auch die Sowjetunion den Krieg gegen den Irak vorab legitimiert und möglich gemacht. War es — im nachhinein betrachtet — ein notwendiger Krieg, und war die Entscheidung vom November politisch richtig?

Kiva Maidanik: Saddam Hussein ist eine — um mit meinem alten Freund, dem salvadorianischen Dichter Roque Dalton zu sprechen — hochgradig füsilierungswürdige Person. Er ist ein Diktator, ein Faschist, der sich über und über mit Blut befleckt hat. Von diesem Gesichtspunkt aus betrachtet, scheint der Krieg gegen Saddam Hussein eine fortschrittliche Angelegenheit. Aber nach den Ereignissen in Osteuropa und dem Ende einer bipolaren Welt fühlt sich die Dritte Welt nun einer einzigen Macht ausgeliefert. Deshalb ist man dort nicht glücklich über die Dinge, die am Golf geschehen sind. Einmal mehr wurde die Ordnung des Status quo durch einen sehr effizienten Gendarmen verteidigt. In einem Großteil dieser Dritten Welt, die ja ihre Propheten wie Mahatma Gandhi, Fidel Castro, Che Guevara oder vielleicht auch Nasser hatte, wurde ein Krimineller, ein Sadist, ein Faschist zu einem Helden und Hoffnungsträger. Ich glaube, wir haben tatsächlich einen Fehler gemacht, als wir ein so enges Bündnis mit den Vereinigten Staaten eingegangen sind. Im Interesse unserer Beziehungen zur Dritten Welt und im langfristigen Interesse der Menschheit wäre es besser gewesen, wir hätten eine ähnliche Position wie China eingenommen, statt zu einer Hilfskraft der Vereinigten Staaten zu werden. Anstatt die globale Situation in der Welt zu bedenken, lag uns vor allem an der Kontinuität und der Entwicklung der Ost-West-Beziehungen oder besser der Ex-Ost-West- Beziehungen, ohne die Positionen und Idiosynkrasien der Mehrheit der Menschen in Betracht zu ziehen.

Weshalb scheiterte denn Primakows Nahost-Initiative im Januar?

Aus zwei Gründen. Saddam Hussein und die Seinen wollten auf Zeit spielen und boten so den Vereinigten Staaten einen Vorwand zur Eröffnung des Krieges. Doch der eigentliche Grund des Scheiterns der Initiative Primakows liegt darin, daß die USA zweierlei nötig hatten: erstens, das Vietnam-Syndrom ein für allemal zu überwinden, zweitens, sich in ihrer Rolle als Führer des Westens zu bestätigen, die sie im wirtschaftlichen und technologischen Bereich verloren haben und im militärischen Bereich in der Reagan-Ära nicht erreichen konnten. Und sie wollten der Dritten Welt eine Lektion verpassen. Die West-Ost-Konfrontation ist ideologisch, militärisch und auch politisch weitgehend bedeutungslos geworden, nun tritt die Nord-Süd-Konfrontation wieder in den Vordergrund. Das geschieht zu einem Zeitpunkt, wo aufgrund des Verschwindens der West-Ost-Konfrontation die Ex-Alliierten der beiden Blöcke wieder an Handlungsspielraum gewonnen haben. Es gibt keine Disziplin mehr. Jeder macht, was er will. Und da haben die USA die Gelegenheit, die ihnen Saddam Hussein bot, beim Schopf gepackt, um der Dritten Welt, strikt im Rahmen des Völkerrechts, eine möglichst harte Lektion zu erteilen.

In dieses Vakuum, das das Ende der Ost-West-Konfrontation gebracht hat, stößt nun auch die UNO vor. Jahrzehntelang hielt man die Vereinten Nationen für eine schwache ohnmächtige Organisation. Nun dient sie scheinbar doch zu etwas...

...diente zu etwas. In der ersten Phase der Krise war sie für vieles gut...

Brauchen wir eine Reform der UNO?

Die Weltlage von 1945, die sich in der UNO in gewisser Weise widerspiegelt, wurde ja nicht eingefroren. Deshalb ist die Dritte Welt in den wichtigen Organismen der UNO, wie etwa im Sicherheitsrat, unterrepräsentiert. Dort sind auch Staaten, die sicher kein geringeres Gewicht als Frankreich oder England haben, nicht präsent. Eine gewisse Reform der UNO ist in der Tat unvermeidlich.

Sollte denn Deutschland auch einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat haben?

Ja, Deutschland wie Japan, aber auch Indien. Vielleicht müßte jede größere Staatengruppe, also Lateinamerika, Afrika, die arabischen Länder, eine Stimme im Sicherheitsrat haben.

Soll es einer reformierten UNO erleichtert werden, sich in die inneren Angelegenheiten der souveränen Staaten einzumischen?

Das ist ein äußerst delikates Problem. Wenn es nun eine demokratisierte internationale Organisation gäbe, wäre ich dafür, der UNO das Recht zur Einmischung in die inneren Angelegenheiten der Einzelstaaten zu geben. Man kann doch nicht einfach eine Situation, wie sie im Extremfall nicht Irak-Kuwait, sondern Kambodscha darstellte, einfach hinnehmen. Wenn es um einen Genozid geht, muß es dieses Recht zur Intervention geben. Auf der andern Seite haben wir nicht die Idealsituation einer demokratisierten internationalen Organisation, die eingreift, sondern eine konkrete Realität. Wir wissen, wer die Einmischung realisiert: der einzige Staat, die einzige Supermacht, die es kann und die es auch gerne tut, die sich berufen fühlt und auch einen genügend hohen Grad an Heuchelei aufbringt, die Vereinigten Staaten, die davon ausgehen, daß Amerika immer recht hat, daß der Sieger immer recht hat. In dieser Situation den Vereinten Nationen, hinter denen ja die Vereinigten Staaten stehen, das Recht zu einer Intervention zu geben, ist äußerst gefährlich. Es gibt also keine Lösung. Auf der einen Seite ja, auf der andern Seite nein. Wir brauchen nur daran zu denken, was morgen mit Kuba geschehen könnte, und übermorgen vielleicht mit uns, der Sowjetunion.

Im Fall eines Genozids also ja zur Intervention. Heute stehen wir am Rand eines Genozids an den Kurden...

Nicht am Rand. Das ist ein Genozid. Und wenn es um einen Genozid geht — wie an den Armeniern 1915, den Juden im Dritten Reich, in Kambodscha oder eben heute an den Kurden — bin ich für eine Intervention. Das Problem besteht darin, daß eine militärische Operation gegen den Genozid an den Kurden in der Dritten Welt als Fortsetzung des Angriffs der USA auf Irak angesehen wird. Und wenn morgen in Indien Sikh- Terroristen ein großes Massaker veranstalten und es bei einem staatlichen Vorgehen gegen die Sikhs dann sehr viele Opfer gibt, was soll man dann tun? Das sind ja leider keine seltenen Situationen in dieser Welt, vor allem nicht im afroasiatischen Raum. Und wir, wir haben Probleme im Kaukasus. Die Georgier verüben einen wirklichen Genozid an den Osseten.

Einen wirklichen Genozid?

Sie töten die Osseten massenweise, sie foltern. Und weiter hinten, in Nagorny-Karabach, und in Zentralasien, im usbekisch-kirgisischen Grenzgebiet, wo es bereits zu Hunderten von Toten gekommen ist. Soll man Truppen schicken oder Blauhelme? Es kann also sehr viele Gelegenheiten für eine Intervention geben. Ein weiterer Fall: der politische Genozid. Da bin ich strikt für Intervention. Ich kenne bislang nur einen klaren Fall politischen Genozids: der Massenmord an Kommunisten in Indonesien 1965. Aber so etwas kann sich morgen in Afghanistan ereignen. Wenn die islamische Opposition an die Macht kommt, garantiere ich Ihnen mindestens 500.000 Tote. Den klaren Fall eines Genozids gibt es relativ selten. Viel häufiger sind die Grenzfälle. Und da kann man nicht immer die UNO eingreifen lassen, um schließlich eine Pax americana zu haben. Oft gibt es eben keine leichten Lösungen. Aber im Fall der Kurden muß es eine Intervention geben. Interview: Thomas Schmid

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen