Erleichterung über Einsatz der Armee

In der kroatischen Hafenstadt Split wurde während einer Demonstration ein Soldat getötet/ Jugendliche Polizisten kontrollieren Bevölkerung in der kroatischen Region Slawonien  ■ Aus Osijek Roland Hofwiler

In der kroatischen Hafenstadt Split ist während einer Demonstration von über 30.000 Menschen gestern ein Soldat getötet worden. Die Demonstranten belagerten das Marinekommando und griffen Militärfahrzeuge an. Sie protestierten gegen die militärische Abriegelung des kroatischen Dorfes Kijevo, das in der Nähe von Knin, der Hauptstadt der autonomen serbischen Region Krajina gelegen ist, und verwüsteten serbische Geschäfte.

Überall im Lande wurde die Armeepräsenz drastisch verstärkt. Und dies nicht nur in den unmittelbar von des Auseinandersetzungen betroffenen Gebieten. Nachdem am Wochenende das kollektive Staatspräsidium auf einer Krisensitzung die Armee dazu ermächtigte, „mit allen Mitteln für Ruhe und Ordnung“ zu sorgen, fällt den Generälen immer mehr die Schiedsrichterrolle im Nationalitätenstreit zu. Selbst die Präsidenten von Kroatien und Slowenien, Franjo Tudjman und Milan Kucan, die noch vor Wochen vor der Gefahr eines bevorstehenden Putsches orthodoxer Armeekreise warnten, sehen nun plötzlich die Armee gerne auf den Straßen.

Alte Kritiker der Armee haben ihre Meinung gewandelt. Ausdrücklich begrüßt werden die „Manöver“ vom slowenischen Innenminister und Ex-Dissidenten Janez Jansa, dem Ex-Tito-Stellvertreter und prominentesten Regimekritiker Jugoslawiens, Milovan Djilas, und von Intellektuellen kleiner demokratischer Oppositionsparteien — zum Beispiel Djuric von der „Demokratischen Partei Serbiens“. Und die Armee nutzt die Gunst der Stunde. Selbst in entlegenen Regionen wie Mazedonien und dem albanisch besiedelten Kosovo sind Schützenfahrzeuge und Truppen aufgefahren.

In totalem Ausnahmezustand — wenngleich nicht offiziell verhängt — befindet sich die von Kroaten, Ungarn und Serben besiedelte Region Slawoniens, wo in Borovo-selo am Donnerstag der Nationalitätenstreit seinen traurigen Höhepunkt gefunden hatte. Dort ist die Bewegungsfreiheit nahezu völlig eingeschränkt. Armeeangehörige verteilen Lebensmittel an die Bevölkerung, nehmen andererseits aber nach eigenem Gutdünken Hausdurchsuchungen und Personenkontrollen vor. Wer in Slawonien von einem Dorf zum anderen reisen möchte, muß Schikanen über sich ergehen lassen. Manche Stellen der Überlandstraßen gleichen Festungen, vor allem an der Grenze der Republik Kroatien und Serbien muß man sich ausweisen und Leibesvisitationen hinnehmen. Einzelnen wird gar der „Grenzübertritt“ verweigert, wenn keine klaren Gründe für die Reise vorgebracht werden.

Wie mittlerweile bekannt wurde, standen in Borovo-selo zur gleichen Zeit, als es die 16 Toten gab, zwei Panzer mit Besatzung. Doch die Soldaten schliefen, als sich Kroaten und Serben Straßenschlachten lieferten. Glaubt man kroatischen und serbischen Radiosendern, so wurde auch gestern überall in Kroatien geschossen, Bahnlinien wurden vermint und Straßen verbarrikadiert. Die Bahnverbindung zur Küste ist unterbrochen. Selbst internationale Fernzüge verkehren aufgrund von Bombendrohungen nicht mehr.

Um die Angst noch mehr anzuheizen, halten sich zahlreiche jugoslawische Zeitungen mit Gerüchten nicht zurück. Neueste Mutmaßung in Kroatien: Der serbische Präsident Slobodan Milosevic genehmige es dem militanten Serbenführer Vojislav Seselj, daß dieser Söldner aus der rumänien Securitate anheuere. Die serbischen Medien kontern: Kroatische Politiker arbeiteten mit dem albanischen Geheimdienst zusammen, unter den Toten Kroaten hätte es Albaner aus dem Kosovo gegeben.

Besorgniserregend ist die Tatsache, daß auf beiden Seiten Jugendliche und manchmal gar Kinder zu „Soldaten“ der militanten Nationalisten werden. Auch die Freiwilligenverbände der paramilitärisch ausgerüsteten kroatischen Sicherheitstruppe — von denen in Borovo-selo mindestens zwölf ihr Leben ließen — sind meist Jugendliche unter 20 Jahren. Sie maßen sich an, Reisende und Journalisten auf Schritt und Tritt zu belästigen, deren Gepäck zu durchwühlen und mit Kalaschnikows im Anschlag zu begutachten, wen man nun vor sich habe, einen „Terroristen“ oder ahnungslos Reisenden.