: Juden wollen Äthiopien verlassen
Die Angst, was nach einem Machtwechsel in dem afrikanischen Land kommt, führt zu Ausreisewelle ■ Aus Tel Aviv Amos Wollin
Der größte Teil — achtzehntausend Menschen — der jüdischen Gemeinschaft Äthiopiens wartet derzeit in Addis Abeba auf eine Möglichkeit, das Land in Richtung Israel zu verlassen. Angesichts der unklaren politischen Lage in dem afrikanischen Land und der Möglichkeit, daß das derzeit herrschende Regime Mengistus durch die Rebellen der Eritreischen Demokratisch-Revolutionären Volksfront (EPDRF) gestürzt wird, suchen die Jewish Agency und die israelische Regierung nach Möglichkeiten, die äthiopischen Juden nach Israel auszufliegen. Die EPDRF hat weniger freundliche Beziehungen zu Israel als Mengistus Regime. Israelische Zeitungen berichteten aus Addis Abeba, die jüdischen Ausreisewilligen dort hofften, „daß Israel viele Flugzeuge schickt, um alle Juden herauszuholen, bevor es zu spät ist.“
Israel arbeitet dabei eng mit den USA zusammen. Die Bush-Administration hat den ehemaligen Senator Rudy Boschwitz, der sehr enge Verbindungen nach Israel hat, nach Addis Abeba geschickt, um Staatspräsident Mengistu für den Fall politisches Asyl in einem europäischen Land anzubieten, daß sein Sturz nicht mehr abzuwenden sei. Dafür müßte dieser die sofortige Ausreise aller äthiopischen Juden nach Israel zulassen.
Gleichzeitig verfolgen die USA aber — gemeinsam mit der UdSSR — das Ziel, Mengistu und die EPDRF zu einer föderalen Regelung für die Zukunft des äthiopischen Staates zu bewegen. Dazu müßte Mengistu sein Amt abgeben.
In Israel steht die Regierung unter heftigem Druck der bereits im Lande lebenden Juden aus Äthiopien. Viele von ihnen waren vor Jahren in einer spektakulären geheimen Luftbrücke — „Operation Mosche“ genannt — nach Israel gebracht worden. In diesem Jahr sind monatlich etwa 1.000 Juden im Rahmen der Familienzusammenführung eingewandert. Addiso Masalla, Vorsitzender der Dachorganisation verschiedener Einwandererverbände äthiopischer Juden, erklärte, daß Israels Regierung für das Los dieser Bevölkerungsgruppe verantwortlich sei. „Dies ist die allerletzte Gelegenheit, die noch in Äthiopien lebenden Juden nach Israel zu bringen.“ Eine Abberufung der israelischen Diplomaten aus Addis Abeba bedeute „Verrat“ an den zur Abreise nach Addis Abeba gerufenen Juden.
Für zahlreiche Juden im Nordwesten Äthiopiens, der von Truppen der Rebellen von Addis Abeba abgeschnitten ist, sowie für etwa 4.000 Äthiopier jüdischer Abstammung, die im Lauf der Jahre zum Christentum übergetreten sind und deswegen keine Einwanderungserlaubnis nach Israel erhalten, besteht hingegen derzeit keine Möglichkeit, das Land in Richtung Israel zu verlassen.
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