Der Schreck nach den neun Nullen

Kapitaler Druckfehler in Betriebsgenehmigung der Gesellschaft für Nuklear-Service/ In Krefeld wird bayerischer Atomschrott zu Atommüllbehältern eingeschmolzen  ■ Von Hermann-Josef Tenhagen

Berlin (taz) — Die Gesellschaft für Nuklear-Service (GNS) hat in Duisburg keinen Ruf mehr zu verlieren. Die Essener Atomfirma, von Bundesumweltminister Töpfer zur Konditionierung und Zwischenlagerung von Atommüll ausersehen, betreibt im Duisburger Stadtteil Wanheim seit Jahren eine Lagerhalle — eine Lagerhalle für Atommüll. Eben dorthin versuchen die Atommanager seit dem Sommer 1990 Gorlebener Atommüllfässer zu schaffen, in denen sich möglicherweise Plutonium verbirgt. Die Auseinandersetzung tobt, gleich mehrfach wurde die Firma vom zuständigen Gewerbeaufsichtsamt zurückgepfiffen, und seit Monaten rennen lokale Bürgerinitiativen gegen die Fässer Sturm. Die Duisburger BürgerInnen sind also hoch sensibilisiert und verfolgen die Aktivitäten der GNS mit Argusaugen.

Im vergangenen Sommer erhielt die umstrittene Firma für die Atommüllhalle auch eine geänderte Genehmigung, aus der jetzt Details bekannt wurden. Neue Transport- und Lagerbehälter für den strahlenden Schrott sollten in Wanheim abgestellt werden dürfen. Die Arbeiter sollten nach Informationen der taz im Bereich der gelagerten Container einer höheren Strahlung von bis zu fünf Mikrosievert pro Stunde ausgesetzt werden können. Den Atem verschlug es Eingeweihten allerdings bei der Entdeckung einer anderen hübschen Klausel. Neue, unbenutzte Atommüllbehälter, die in der Halle stehen dürfen, sollen selbst eine spezifische Aktivität von bis zu zehn Gigabecquerel (das sind 10 Milliarden Becquerel) pro Gramm haben dürfen. Das ist 10.000mal mehr, als auf einem Quadratmeter der hochverstrahlten Böden in der Ukraine oder Weißrußland strahlt. Ein 5.000-Kilo-Mosaikbehälter, wie er für den täglich anfallenden Betriebsmüll im AKW verwandt wird, dürfte die gigantische Aktivität von 50.000.000.000.000.000 (50.000 Billionen) Becquerel haben — mehrere Zeugen bestätigten unabhängig voneinander diese Zahl. Nachfragen beim Regierungspräsidenten in Düsseldorf enthüllen eine bemerkenswerte Schlamperei. Der zuständige Strahlendezernent Hans- Joachim Voget kennt die Zahl auch und weiß, daß sie falsch ist: Es handele sich nämlich um „einen Schreibfehler in der Genehmigung, der von der GNS selbstverständlich nicht ausgenutzt wird“. Die Genehmigung erlaube statt dessen zehn Becquerel pro Gramm. Sofort beheben will Voget diesen kapitalen Schnitzer aber nicht. Statt dessen sei „schon abgesprochen, daß der Fehler beim nächsten Änderungsantrag mit korrigiert wird“.

Doch wie strahlen leere und ungenutzte Atommüllcontainer überhaupt von sich aus? Die Spur der megastrahlenden Container führt über den Rhein nach Krefeld. Dort wird in der Gießerei Siempelkamp seit 1984 strahlender Schrott aus dem peu à peu abgerissenen bayerischen Atomkraftwerk Niederaichbach eingeschmolzen. 95 Prozent dieses Stahlschrotts sei „lowest- level-waste“, den man problemlos einschmelzen könne — davon ist Geschäftsführer Manfred Sappok überzeugt. Er erklärt diese Art der Entsorgung zur „Firmenphilosophie“: „Dann bleibt es im Kreislauf der Kerntechnik.“ In der Tat sollen die Fässer endgelagert werden. Ganz harmlos ist diese Art des Atommüllrecyclings jedoch nicht. Im allgemeinen haben die kleinen Mosaikbehälter (Gewicht fünf Tonnen) nach Sappoks Angaben eine spezifische Aktivität von zehn bis 20 Becquerel pro Gramm. Die Firma darf aber nach einer Änderung der Genehmigung Behälter mit bis zu 200 Becquerel pro Gramm gießen. Umgerechnet auf den gesammten Container sind das bedenkenswerte 50 Millionen bis eine Milliarde Becquerel pro Atommüllfaß. Wie zum Beweis für den heiklen Charakter der Atommüllschmelze werden denn auch die größten und teuersten Atomcontainer, die 100 Tonnen wiegenden Castors, ohne strahlende Beigabe gefertigt. Der Preis wäre zu hoch, wenn solche Behälter keinen Abnehmer fänden, bekennt Sappok freimütig.