Wo die Befreiung ihren Ort hat

■ Das »Museum der bedingungslosen Kapitulation des faschistischen Deutschland im Großen Vaterländischen Krieg 1941-1945« in Karlshorst

Am 8. Mai 1945 unterzeichneten Generalfeldmarschall Keitel, General-Oberst Stumpff und Admiral Friedeburg vor den Mächten der Antihitlerkoalition in der ehemaligen Ingenieurschule in Berlin-Karlshorst die bedingungslose Kapitulation Nazi- Deutschlands. Kurz zuvor war der in einem Villenviertel gelegene Bau, in dem während des Krieges das Kasino der Festungspionierschule der Wehrmacht untergebracht war, von der Roten Armee eingenommen worden. Bis 1946 war er Residenz von Marschall Shukow, dem Oberkommandierenden der sowjetischen Streitkräfte. Seit 1967 ist das Gebäude, Gedenkstätte und Museum zugleich. Was allerdings nach dem Abzug der Roten Armee im Jahr 1994 passiert, ist noch weitgehend ungewiß.

Nach Paragraph 16 des Einigungsvertrages genießt der rekonstruierte Saal des Museums als Gedenkstätte denkmalpflegerischen Schutz. 1945 hatte man ihn zur Unterzeichnung der Kapitulationsurkunde unter anderem mit Möbeln aus der Reichskanzlei hergerichtet. Noch heute stehen dort Trinkgläser und die Wimpel der Alliierten auf den langen Tischen und vor jedem Platz liegt ein Blatt weißes Papier. Anders die relativ weitläufigen Ausstellungsräume im Erdgeschoß und im ersten Stock. Sie wurden erst später von den Sowjets als Militärmuseum mit dem selten schönen Titel »Museum der bedingungslosen Kapitulation des faschistischen Deutschland im Großen Vaterländischen Krieg 1941-1945« gestaltet. Im Eingangszimmer steht ein bronzener Lenin in fast doppelter Lebensgröße und bäuerlicher Pose — der obere Türpfosten zu seiner Rechten reicht ihm gerade bis zum Ellbogen, und die ausgewachsenen Gummibäume auf der anderen Seite enden etwas oberhalb seiner Knie.

In den anderen Räumen wird stromlinienförmig Geschichte dokumentiert, die eindeutig zwischen gut und böse unterscheidet und dabei aus ideologischen Gründen keinen Platz findet beispielsweise für den Hitler- Stalin-Pakt. In chronologischer Ordnung sind sozial-realistische Ölbilder und Schlachtengemälde und später ein kühnes Endkampf-Diorama mit märkischem Sand, geborstenen Waffen und brennenden Gebäuden in 3-D zu sehen , bronzene Büsten von einfachen, doppelten, dreifachen Helden der Sowjetunion, verrostete Helme und Maschinenpistolen, sämtliche sowjetischen Auszeichnungen aus dem Zweiten Weltkrieg, bronzene Panzermodelle, aber auch Flugblätter aus dem Widerstand und zahlreiche Dokumente und Briefe aus den Lagern bis hin zu Häftlingsanzügen, KZ-Pfosten und Zyklon-B-Büchsen, ja sogar einer gläsernen Urne, gefüllt mit der Asche verbrannter Häftlinge aus dem KZ Buchenwald, die an die nationalsozialistischen Greueltaten erinnern.

Ansonsten geht es um die Smolensker Abwehrschlacht 1941, um die Kämpfe um Leningrad, Moskau und Stalingrad sowie um den Partisanenkrieg, aber vor allem um die Schlacht um Berlin. Die Sowjetarmee hatte damals 102.000 Tote und 200.000 Verwundete zu beklagen. Im Garten des Museums grüßen T-34-Panzer und Stalinorgeln in die heute fast ausschließlich von der Roten Armee bewohnte Siedlung.

Als Museumswärter laufen einige Soldaten von Raum zu Raum, die meisten von ihnen zu jung, um die stoische Dienstruhe ihrer älteren Berufskollegen auszustrahlen. Ab und zu nehmen sie eine verrostete Granate in die Hand und wünschen sich verträumten Blickes entweder in den Feierabend oder ganz woanders hin. Im Obergeschoß sind Exponate zu der »Berliner Operation« zu sehen —, auch hier drängen sich die Erinnerungsstücke dicht an dicht.

Die Vitrinen stehen auf grünen und braunen Teppichböden, über die unzählige DDR-Schulklassen, ausländische Besuchergruppen, Brigaden und Veteranen die Runde gemacht haben. Der optische Höhepunkt in der oberen Etage ist ein Raum, der fast vollständig von einem mehrere Quadratmeter großen Tableau einer maßstabgetreuen Berlin-Karte ausgefüllt wird. Wenn einer der Museumswärter die Deckenlampen ausknipst, blinken rote und grüne Lichterketten auf, die sukzessive den Vormarsch der Roten Armee vom äußeren Stadtrand bis zum Reichstag anzeigen.

Die Schaukästen und Schautafeln sind nicht alle gleichmäßig angestrahlt, so hängt etwa ein Berliner Stadtplan, auf dem Hitler im Führerbunker mit Pfeilen die Truppenbewegungen in den letzten Kriegstagen markierte, fast im Dunkeln und fügt sich atmosphärisch in die Dramaturgie des Museums. Weil bis auf wenige Ausnahmen die Schildchen an den Exponaten in kyrillischer Schrift gedruckt sind, ist die des Russischen nicht mächtige Besucherin gezwungen, etwas länger hinzuschauen. In Ermangelung jener leicht verdaubar- zweizeiligen Erläuterungen kann man auf diese Weise sehr individuell unpädagogische Museumserfahrungen sammeln, die allein aufgrund des Seltenheitswerts den Besuch lohnen.

Wen es nach mehr deutschsprachigen Erläuterungen verlangt, kann an einer der Führungen teilnehmen. Diese werden auf Wunsch und nach Anmeldung (0372-5084839) von Sowjetbürgerinnen durchgeführt, die überaus charmant mit weißen Zeigestöckchen auf Bemerkenswertes zeigen, kundig auf Fragen antworten und am Ende der Führung einen marschmusikunterlegten Dokumentarfilm im Kinosaal starten.

Außer daß im letzten Raum eine wilde Mischung von Gorbatschow- Bildern, Mauerfallfotos, DDR-Aufbautableaus und Erinnerungswimpeln in Sachen Darstellung der jeweiligen aktuellen Freundschaftsverhältnisse zu sehen ist und auch der Lenin-Saal erst kürzlich gestalterisch nachgerüstet wurde, präsentiert sich das Sowjetische Militärmuseum im großen und ganzen kaum anders als bei seiner Eröffnung 1967. Ursprünglich war es eine in erster Linie für sowjetische Soldaten gedachte Einrichtung. Mit dem Truppenabzug jedoch und der veränderten historischen Situation soll das Museum jetzt gezielt für Zivilisten attraktiver gemacht werden, erklärt Reiner Güntzer, Museumsreferent in der Senats- Kulturverwaltung. »Wir sehen darin einen Beitrag zur nationalen Hygiene. Karlshorst soll eine Gedenkstätte werden, die die Deutschen vor Übermut bewahrt.«

Nachdem im vergangenen Sommer kurzzeitig Gerüchte über die bevorstehende Schließung kursierten, gibt es mittlerweile selbst von konservativer Seite keine Einwände mehr gegen den Erhalt des Museums. Andererseits aber weist nichts auf eine unmittelbar bevorstehende Gründung eines Vereins der Freunde und Förderer hin.

Bislang steht die Karlshorster Gedenkstätte finanziell und institutionell noch unter sowjetischer Regie — das wird sich bald ändern, möglicherweise schon im Sommer. Noch im letzten hatte der SPD-Neo-Kaltekrieger Tilman Fichter im Museumsjournal geunkt: »Wer aber glaubt, die Ritter der roten Tafelrunde werden beim Rückzug ihre Reliquien den Fachleuten des geplaten ‘Deutschen Historischen Museums‚ oder auch des ‘Museums für Deutsche Geschichte‚ übereignen, irrt. Nicht zuletzt deshalb sollten alle historisch interessierten Zeitgenossen bzw. Freunde des heroischen Sozialistischen Realismus das vereinsamte Museum in Berlin-Karlshorst bald besuchen. Im nächsten Frühjahr könnte es für einen Besuch bereits zu spät sein, wenn der rote Gral (in eine Kaserne) hinter den Kaukasus zurückgekehrt sein wird.«

Hier irrte der Antikommunist. Die zuständigen Behörden auf beiden Seiten sind sich nämlich einig, daß nach 1994 die Gedenkstätte Karlshorst eine sowjetisch-deutsche Institution werden soll und einhergehend eine konzeptionelle Veränderung der Ausstellungsräume notwendig ist. Mit nur mäßigem Engagement fühlt sich auf deutscher Seite das Deutsche Historische Museum als Institution des Bundes dafür verantwortlich, eine entsprechende Konzeption auszuarbeiten. Eine deutlichere Trennung zwischen der Gedenkstätte und den Ausstellungsräumen wurde angeregt, wobei zur inhaltlichen Gestaltung nur erst vage Ideen geäußert wurden. Denkbar sei z.B. eine ständige Sammlung, die einen Überblick bietet über die deutsch-sowjetischen Beziehungen von 1917 bis in die Gegenwart oder nur über den Zeitraum 1941-1945 oder aber Wanderausstellungen — kurzum: konkrete Pläne liegen noch nicht vor. »Eigentlich ist unser Aufgabenbereich auf nur ein Haus beschränkt«, so Dieter Vorsteher, designierter neuer stellvertretender Direktor des DHM. »Dependancen und kleinere Häuser wie das da draußen passen eigentlich nicht in unser Konzept.« Und außerdem sei die Arbeit mit den sowjetischen Partnern doch noch ziemlich ungewohnt, fügt Vorsteher etwas entschuldigend hinzu. Wenn die Sowjets zu den Treffen in ihren Uniformen auftauchten, würde man sich im Jackett schnell »blaß und unscheinbar« fühlen. Da muß man dem Vertreter des DHM zustimmen: Major Wladimir Lukin sieht in seiner Berufskleidung ziemlich chic aus.

Der sowjetische Museumsleiter erzählt, daß derzeit eine Gruppe von sowjetischen Historikern und Museumsfachleuten Konzepte für jeden einzelnen Ausstellungsraum erarbeiten würde. Die Einmaligkeit des Ortes und seine mahnende Funktion für die kommenden Generationen soll wie bisher den Charakter des Museums prägen, wobei eine etwas andere Selektion und die Ergänzung der Sammlung mit Gegenständen aus beiden Staaten ins Auge gefaßt wird. In Karlshorst, so Major Lukin, dürfe vor allem nicht passieren, was unmittelbar nach der Wende in Saßnitz mit dem plombierten Eisenbahnwagen geschah, in dem Lenin die legendäre Reise in die Sowjetunion machte. »Früher stand dieser Waggon in Saßnitz am Bahnhof und war eine weltweit einmalige Gedenkstätte. Jetzt ist er einfach weg, verschwunden, ich weiß nicht einmal, wohin. Man kann einen Staat demontieren, aber nicht seine Geschichte.«

Die Zeit drängt in Karlshorst. Um so plausibler erscheint die einfachste Lösung für die Zukunft der Gedenkstätte. Ein Gegenvorschlag zu den noch nicht geschriebenen Konzepten, die bis Juni in aller Eile neben den vielen ehrgeizigen und gleichzeitig zu betreuenden Großprojekten fertiggestellt sein müßten: Sowjets und Deutsche teilen sich spätestens ab 1994 die finanzielle und sonstige Verantwortung für das Museum. Und sonst läßt man alles original und authentisch, wie es ist — als Zeugnis sowjetischer Präsenz und Zeitgeschichte in Deutschland. Aber vor allem als Zeugnis der Selbstdarstellung einer einst siegreichen Arbeiter- und Bauernarmee, deren heutige Angehörige nun von den Enkeln der besiegten Nationalsozialisten massiv bedroht und gedemütigt werden. Dazu gehören die fehlenden Kapitel in der Geschichtsschreibung genauso wie die roten Fahnen im Garten und das einladende Büro, wo sowjetisches Fernsehen läuft und ein gelbes und ein rotes Telefon sich schwesterlich den Ehrenplatz auf dem Empfangstisch teilen. Wenner/Riedle

Fritz-Schmenkel-Straße, Berlin- Karlshorst, geöffnet: Di.-Fr.: 9-13 und 15-18 Uhr; Sa.: 9-16; So.: 9-14 Uhr. Jeden letzten Samstag im Monat geschlossen. Eintritt frei, S-Bahnhof Karlshorst.