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Der Mann, der Fellatio liebte

Ein Blick auf die Jim-Morrison-Biographien  ■ Von Karl Wegmann

Nicht wenige der unzähligen Besucher, die jedes Jahr zum Prominenten-Friedhof Pére Lachaise nach Paris pilgern, besuchen ein Grab, von dem sie überzeugt sind, daß es leer ist. Als Jim Morrison, gerade 27 Jahre alt, am 3. Juli 1971 in einem Badezimmer der Seine-Metropole seine finalen Abgang machte — ob nun mit Hilfe von Heroin, Kokain, Kentucky Bourbon oder allem zusammen: auf jeden Fall starb er an Selbstmißbrauch —, wollte das die weltweite Fangemeinde einfach nicht akzeptieren. Schon bald kursierten Gerüchte, denen zufolge der Missionar des apokalytischen Sex, der jedoch längst zum körperlichen Wrack mit Rauschebart und Bierbauch verkommen war, seinen Tod nur inszeniert hätte. Der Lizard King hätte der Welt einen Streich gespielt und würde jetzt in einem fernen Land ein demütiges Eremitenleben führen.

Die 1980 erschienene Morrison- Biographie Keiner kommt hier lebend raus von Jerry Hopkins und Daniel Sugerman gab diesen Gerüchten neue Nahrung. Schon im Vorwort ist vom „mythischen Helden“ und einem „geheimnisumwölkten“ Tod die Rede. Danny Sugerman, selbsternannte „fünfte“ Doors, gesteht: „Persönlich halte ich Jim Morrison für einen Gott.“ So ist denn auch das ganze Buch eine einzige Anbetung des Rockidols. Am Ende des Pop- Märchens behaupten dann die Autoren, daß Jim schon Anfang 1967 — die Doors versuchten damals verzweifelt, einen Plattenhit zu landen — die Idee hatte, durch seinen fingierten Tod landesweit das Interesse auf die Band zu lenken. Unter dem Namen „Mr. Mojo Risin“ wollte er sich nach Afrika absetzen und mit den übrigen Doors Kontakt aufnehmen. Die Geschichte wurde zum Millionenseller und zur Bibel der Morrison-Verehrer.

Als Jim Morrison seine Band verlassen hatte, waren die Doors, obwohl sie das bis heute bestreiten, musikalisch am Ende. Sie verkauften zwar immer noch Platten, aber der Ruhm gehörte alleine dem Lizard King. Also kam Drummer John Densmore auf die gewinnbringende Idee, ebenfalls eine Biographie zu schreiben. Riders on the Storm — Mein Leben mit Jim Morrison und den Doors ist im großen und ganzen nichts anderes als eine Nacherzählung der Keiner-kommt-hier-lebend- raus-Geschichte. Ausgerechnet dieses Buch hat sich Oliver Stone als Vorlage für seinen Film ausgesucht: Die Amerikaner lieben solche Geschichten. Am ersten Wochenende spielte The Doors in den Staaten neun Millionen Dollar ein. Aus der Verehrung ist inzwischen eine Morrison- Mania geworden, mit Stickern, Postern, T-Shirts und immer neuen Büchern. Legionen von alten und neuen Fans, die zum Teil noch gar nicht geboren waren, als Jim den Löffel abgab, verdrehen im Kino nun wieder verzückt die Augen, beim Klang seiner Stimme und beim Anblick des löwenmähnigen Alexander-der-Große-Schädels wird so mancher Teenie wieder schwach. Zwanzig Jahre nach Morrisons Tod werden in den USA mehr Doors-Platten verkauft als jemals zuvor.

Einer, der dem Menschen Jim Morrison bedeutend näher gekommen ist, ist der Cherokee-Indianer Craig Kee Strete. Er schrieb 1982 Uns verbrennt die Nacht, Untertitel: Ein Roman mit Jim Morrison. Strete war knapp 15 Jahre alt, als er Jim in Los Angeles begegnete. Beide stürzen sich in den betäubenden Irrsinn der Sechziger, sie steigen ein in den Zug, der von Sex, Pillen, Alkohol, Nadeln, Joints und Zuckerwürfeln angetrieben wird. Craig Kee Strete liegt nichts daran, der Kultfigur einen weiteren Glorienschein zu verpassen. Er beschreibt Jim Morrison als Rocksänger und Säufer, als brutalen Chauvinisten und empfindsamen Poeten, der die „Grenzen der Realität erreichen will, mal sehen was passiert“.

1980 erschien eine weitere Morrison-Bildbiographie. Geschrieben hat sie der Journalist Dylan Jones, bekannt für seine Artikel über Trends in der Popmusik in Zeitschriften wie 'Time Out‘ und 'Rolling Stone‘. Der deutsche Verlag machte aus dem Titel Jim Morrison. Dark Star ein zahmes Poet und Rockrebell und wird damit dem Buch nicht gerecht, denn Jones entzaubert den Lizard King endgültig. Er beschreibt ihn als Popstar der Sechziger schlechthin, als einen „rätselhaften, egoistischen Playboy mit einem Hang zu philosophischer Selbstversenkung und hautengen Lederhosen“. Für Jones ist Jim Morrison der erste Schauspieler des Rock 'n' Roll, der „seine Rolle wie ein method actor lebte“. Er glaubte stets, etwas Besseres zu sein als bloß ein aufgedonnerter Popstar. Seine Gedichte fanden leider, jedoch völlig zu Recht, nicht die Anerkennung, die Morrison beanspruchte. Mit 24 war er schließlich schwerer Alkoholiker, der zum Frühstück ein paar Bier kippte und dann mit Vorliebe die billigen Bars abklapperte, wo er weitersoff, sich als Thekenphilosoph betätigte und zum Schluß eine Schlägerei anzettelte. Auf der Bühne war er das „Urbild des düsteren Stars, der als Sänger seine Psyche bloßlegte und die Eingeweihten aufforderte, näherzutreten und einen Blick hineinzuwerfen“. Nach seinen Auftritten liebte er es, sich von einer Verehrerin in der Garderobe einen blasen zu lassen, in der einen Hand ein Flasche Jack Daniels, die zweite unterm Rock eines anderen Groupies: Publikum störte ihn nicht. Seine legendäre Vorliebe für Fellatio resultierte daraus, daß er, das Sexsymbol, meist viel zu bedröhnt und zu faul war, um sich selbst sexuell zu betätigen.

„Am Ende wurde ihm sein eigenes Image zur Qual“, schreibt Dylan Jones, „aufgedunsen vom Alkohol, voller Verachtung für sein Publikum und die Rolle des leidenden Adonis, die er selbst kreiert hatte.“ Trotzdem macht der Autor keinen Hehl aus seiner Bewunderung für den Star: „Jim Morrison hat beachtlich viel in seine 27 Lebensjahre hineingepackt“, und die ersten beiden Doors-Alben sind für Jones „mit die packendste Rockmusik, die je auf Platte gepreßt wurde“. Obwohl nicht die umfangreichste, so ist Jones' Biographie wohl doch die beste, weil ehrlichste, die zur Zeit auf dem deutschen Markt erhältlich ist. Doch auch er kann es sich nicht verkneifen zu bezweifeln, daß Morrison wirklich in Paris begraben liegt. „Es ist durchaus denkbar, daß jemand mit den Verbindungen eines Admiral Steve Morrison die Leiche seines Sohnes hätte heimlich zurück in die USA schaffen können.“ Dylan Jones befragt dazu den Friedhofsdirektor, Monsieur Forestier, und bekommt auch eine Antwort: „Vielleicht ist der Sarg leer, aber dann gibt es nur einen Weg, das herauszufinden.“

Hopkins/Sugerman: Keiner kommt hier lebend raus , Maro- Verlag, 367 S., 20 DM, als Neuerscheinung: Heyne TB, 9,80 DM.

John Densmore: Riders on the Storm , erscheint im Juni im Hannibal-Verlag, 320 S., ca. 35 DM

Craig Kee Strete: Uns verbrennt die Nacht, Roman mit Jim Morrison , 365 S., Rowohlt TB, 8.80 DM.

Dylan Jones: Jim Morrison — Poet und Rockrebell , Heyne-Verlag, 192 S. mit 181 Abbildungen, 48 DM.

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