: „Discovery“ schlägt Purzelbäume für SDI
Nicht die US-amerikanische Spitzentechnologie, sondern ein schweizer Armeemesser rettete die Raumfahrtmission ■ Von Silvia Sanides
Eine am Samstag vorgenommene „elektronische Bypass-Operation“ hat die jüngste Mission des amerikanischen Raumfährenprogramms vor einem peinlichen Versagen gerettet. Mit einem Armeemesser, made in switzerland, und Klebeband schlossen die Astronauten auf der Fähre „Discovery“ die Verbindung zwischen drei Meßgeräten und der Erde kurz, und konnten so einen defekten Schreiber an Bord der Fähre umgehen. Der Schreiber war kurz nach dem Start der Discovery ausgefallen, so daß Experimente mit drei Instrumenten, die insgesamt 160 Millionen Dollar wert sind, abgebrochen werden mußten. Nach erfolgreicher „Operation“ sandten zwei der Instrumente ihre Meßdaten direkt über die Kommunikationsantenne der Discovery zur Erde. Das dritte Instrument, ein Röntgenstrahlen-Detektor, gab nach kurzer Zeit seinen Geist wieder auf.
Daß Nasa-Missionen von Problemen geplagt sind, über die sich die Medien freudigst und ausführlichst auslassen, ist nichts Neues. Die Discovery jedoch flog im Auftrag des Pentagon, das seine Raumfahrtexperimente bisher streng geheimhielt. So geheim, daß nicht einmal die genauen Start- und Landezeiten bekanntgegeben wurden. Die große Countdown-Uhr am Kennedy Center in Florida wurde, wenn die Fähren für das Militär starteten, stets verdunkelt. Aber jetzt ist Schluß mit der Geheimniskrämerei. Das Pentagon wird seine Missionen künftig öffentlich ausführen, angeblich um jedes Jahr achtzig Millionen Dollar zu sparen. Soviel kostet es nämlich, um die geheime Computerausrüstung, die gesonderten Kontrollräume und die klandestine Kommunikation zwischen Weltraum und Erde funktionstüchtig zu erhalten.
Auch das Ende des Kalten Kriegs wird eine Rolle in der Entscheidung gespielt haben, meint John Pike von der privaten „Federation of American Scientists“. Die Organisation wacht kritisch über das Treiben des Pentagon. Doch er ist überzeugt, daß die Geheimniskrämerei in der Vergangenheit durchaus nicht die nationale Sicherheit garantieren sollte, sondern für die Waffenforscher eine Methode war, der öffentlichen Überwachung im eigenen Land zu entgehen: „Sachen, für die man bisher ins Gefängnis kam, sind jetzt okay? Das zeigt, wie albern diese Geheimhaltung von Anfang an war.“
Allzu viele Informationen wird das Pentagon sowieso nicht im Rahmen von Nasa-Missionen preisgeben müssen. Nach dem jetzt beendeten Flug der Discovery hat das Militär für die nächsten Jahre nur noch zwei weitere Exkursionen auf den Raumfähren „gebucht“. Im Verteidigungsministerium hat man aus dem Absturz der „Challenger“ 1986 gründlicher gelernt als in anderen hochfliegenden Regierungsabteilungen: Das Pentagon schickt seine Lasten inzwischen fast immer mit unbemannten Raketen in den Weltraum.
So gründlich wie einst die Geheimhaltung, betrieb das Pentagon jetzt für den Flug der Discovery die Öffentlichkeitsarbeit. Einer 63seitigen Pressemitteilung waren die Einzelheiten über die an Bord stattfindenden Experimente zu entnehmen. Die Mission stand voll im Dienst von „Star Wars“ (SDI), dem von Präsident Reagan aus der Taufe gehobenem „Sternenkrieg“-Programm. Seit Ende des Kalten Kriegs wird SDI zwar immer mal wieder totgeglaubt, totgehofft oder totgeschrieben, doch die Discovery-Mission beweist: SDI lebt. Allerdings erscheint die SDI- Forschung, wie sie jetzt in der Discovery betrieben wurde, tatsächlich wie ein schlechter Film aus vergangenen Zeiten.
Hauptziel der Mission war es, Informationen zu sammeln, wie Sensoren „feindliche Geschosse“ im Weltraum sicher orten können. Zu diesem Zweck wurde das Phänomen des „Südlichts“ (das Nordlicht des Südens) untersucht, denn womöglich könnten sich feindliche Weltraumwaffen hinter dieser gewaltigen „Lightshow“ verbergen. Die Beobachtungen mußten in höchster Eile abgeschlossen werden, weil das dafür verwandte Infrarot-Teleskop Kühlmittel verlor. Dann versprühte die Discovery-Besatzung Treibstoff im All, um festzustellen, wie Sensoren diese Art der „Umweltverschmutzung“ registrieren. Schließlich könnte der Feind Wolken chemischer Substanzen als Camouflage für seine Geschosse im All verbreiten. Der Versuch gestaltete sich zwischenzeitlich problematisch, weil die Astronauten die Treibstoffkanister samt Inhalt auf eine Umlaufbahn beförderten. Die Discovery mußte ihre Position ändern, um eine Kollision mit dem so entstandenen Müll zu vermeiden.
Außerdem untersuchte die Discovery-Mannschaft, wie SDI-Sensoren die Abgaswolken von Raketen wahrnehmen. Womöglich lassen sich feindliche Raketen über ihre Auspuffgase aufspüren. Dafür wurde vorübergehend ein Satellit freigesetzt, der die Abgase der Manövrier-Motoren der Discovery unter die Lupe nehmen sollte. Zunächst suchte der Satellit das Weite und mußte mit viel Mühe in die richtige Position gebracht werden. Dann schlug die Raumfähre, als die Crew die Motoren allzu heftig hochtrieb, ein paar Purzelbäume. Trotz der vielen kleinen Pannen werteten die SDI- Forscher ihre Mission als zu „99 Prozent“ erfolgreich. Als Totalausfall entpuppte sich lediglich der Röntgenstrahlen-Detektor. Er sollte Auskunft über den Unterschied zwischen natürlicher und vom Menschen ausgelöster Röntgenstrahlung im Weltraum geben. Die Ergebnisse hätten der Verifizierung von Verträgen zur Einschränkung von Atombombentests dienen können. Zweifelsohne hat nicht nur der Feind in Moskau, sondern auch SDI-Feinde im Kongreß die Discovery-Mission genau beobachtet. Trotz des Happy end des Dramas ist kaum anzunehmen, daß die Abgeordneten nun mit neuem Enthusiasmus Gelder für SDI lockermachen werden. Schließlich war es nicht amerikanische Spitzentechnologie, sondern ein Schweizer Armeemesser, das entscheidend zum Erfolg beitrug.
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