Volkspartei ohne Volk?

■ Die Krise der CDU ist mehr als die Krise einer Partei

Volkspartei ohne Volk? Die Krise der CDU ist mehr als die Krise einer Partei

Die deutsche Einheit produziert merkwürdige Resultate. Eines, und nicht das unwichtigste, besteht im Wegbrechen der traditionellen westdeutschen Stammwählerschaft der CDU. Das Volk, das man als Wahlvolk in verschiedene Interessensgruppierungen zerlegen und dann auf bestimmte Parteien hin bündeln wollte — dieses Volk existiert nicht mehr. Die neuen Mittelschichten, die als Wechselwähler die Wahlen entscheiden sollten, haben Konkurrenz bekommen durch das — ebenfalls sehr wechselhafte — Wählerpotential aus dem Osten. Aber die Interessensgegensätze zwischen den Wählern Ost und den Wählern West scheinen — zumindest bis jetzt — auch durch nationale Rhetorik nicht überbrückbar.

Als regierende Mehrheitspartei hat das Verschwinden des einheitlichen Wählervolks die CDU als erste getroffen. Wenngleich bis jetzt ein wenig im Halbschatten, so steht auch dies hinter dem Streit zwischen CDU und CSU. Die CDU kann — anders als die CSU — auf die Karte Wechselwähler in der DDR als Mehrheitsbeschaffer setzen. Aber das ist ein gefährliches Spiel — und nicht nur für die Gemeinschaft der Christdemokraten. Angesichts der zweifelhaften demokratischen Qualitäten und der Instabilität der Wähler im Osten wird es kaum möglich sein, diese fest an eine Partei zu binden. Das Setzen auf die Wähler im Osten könnte zu einem Aufschaukeln populistisch motivierter Maßnahmenkataloge führen, mit einer doppelten Konsequenz. Der Einbindung der Bundesrepublik in den Rahmen der westlichen Demokratien geht tendenziell ihre politische Repräsentanz verloren. Wenn die Versprechen im Osten nicht eingelöst werden können — und die Gefahr ist groß —, dann ist jetzt schon klar, wohin hier bei den Wählern die Reise geht. Es wird eine autoritäre, sogar im schlechten Sinne plebejische Demokratiekritik angeheizt werden, die sich auch in einer Radikalisierung der Wählerschaft niederschlagen wird. In dieser Situation könnte die CSU, so paradox das erscheint, die Stimme der westlichen Rationalität und der programmatischen Neuorientierung der Christdemokraten sein.

Aber ihr Flügelschlagen in Sachen Asylrecht und Abtreibung scheint eher der Versuch eines Kathopopulismus denn der einer rationalen Strategiediskussion zu sein. Wie auch immer diese Krise der deutschen Christdemokraten ausgehen wird, sie ist Symptom einer tiefgreifenden politischen Labilität unseres Systems, das weit über den Rahmen einer Partei hinausgeht. Ulrich Hausmann