ANC rückt stillschweigend vom Ultimatum ab

Die ANC-Führung kann sich einen Abbruch der Gespräche mit der Regierung nicht leisten/ „Wir brauchen Verhandlungserfolge“  ■ Aus Johannesburg Willi Germund

„Was Präsident de Klerk sagt, ist nicht so wichtig wie das, was er unternimmt“, erklärt eine enge Beraterin von Nelson Mandela, dem Vizepräsidenten des Afrikanischen Nationalkongresses (ANC). Freilich kann Südafrikas Staatsoberhaupt bei der Bewährungsprobe des 9. Mai auf das Wohlwollen des ANC rechnen. „Es gibt keine Alternative zu Verhandlungen“, sagt der ANC-Sprecher Saki Macozoma. Und Mandelas Beraterin wird noch deutlicher: „Wir brauchen Verhandlungserfolge. Sonst setzt sich bei unserem Parteitag im Juli eine noch radikalere Linie durch.“

So setzte der ANC mit seinem am 9. Mai ablaufenden Ultimatum an de Klerk zwar Südafrikas Regierung unter Druck. Aber er manövrierte sich auch in eine Zwickmühle. Auf der einen Seite muß Nelson Mandela den Zorn seiner Basis über die anhaltende Gewaltwelle in den Townships, die immer mehr Opfer fordert, berücksichtigen und kann sich gegenüber Staatspräsident Frederik de Klerk nicht zu kompromißbereit geben. Aber auch Pretoria weiß, daß die ANC-Führung nicht wirklich an einem Platzen der Gespräche mit der Regierung interessiert ist. So konnte de Klerk am Wochenende einer Kircheninitiative zu einer Allparteienkonferenz über die Gewalt einen Korb geben.

Unter der Voraussetzung, daß die Polizei in den Townships endlich nicht mehr einseitig gegen den ANC agiert, scheint Mandela nun bereit zu sein, sich mit dem Zehn-Punkte-Plan zufriedengeben zu wollen, den Staatspräsident de Klerk am letzten Donnerstag verkündete. Darin schlug er eine Kommission vor, die Polizeiübergriffe untersuchen soll. Weiter ist ein Fonds geplant, mit dem Gewaltopfern geholfen werden soll. Außerdem will das Staatsoberhaupt dem ANC-Verlangen nach einer stärkeren Kontrolle von „traditionellen Waffen“ — den Speeren und Messern, die Inkatha-Anhänger bisher legal tragen durften — nachkommen. Von der ANC-Forderung nach einem Rücktritt von Innenminister Adrian Vlok und Verteidigungsminister Magnus Malan ist auch auf ANC-Seite nicht mehr die Rede.

Ebenso wie die undurchsichtige Rolle der Sicherheitskräfte in den Townships erschwert die konservative Inkatha-Bewegung die Verhinderung eines Bürgerkriegs in Südafrika. Nachdem in der letzten Woche die Polizei erstmals durch die Inkatha kontrollierte Wohnheime nach Waffen durchsuchte, reagierte deren Chef Mangosuthu Buthelezi mit einer Drohung. Er will sich von allen Verhandlungen zurückziehen, wenn dies in Zukunft fortgesetzt wird. Auch einer seiner engsten Mitarbeiter, Musa Muyeni, setzte alles daran, die sich abzeichnende Einigung zwischen Regierung und ANC zu torpedieren. Er drohte, 100.000 Inkatha- Mitglieder nach Soweto zu schicken, weil die „Polizei unter ANC-Aufsicht“ agiere.

Es wird nun spekuliert, daß es noch vor dem 9. Mai zu einem Treffen zwischen Mandela und de Klerk kommen könnte. Doch scheint dieses magische Mittel, mit dem in der Vergangenheit Probleme ausgeräumt wurden, zu einer stumpfen Waffe geworden zu sein. Denn angesichts der aufgeheizten politischen Stimmung ist fraglich, wie dauerhaft eine Einigung zwischen ANC und Regierung in den Townships Wirkung zeigen kann. Die Mandela-Beraterin: „Wenn die Gewalt nicht stoppt, wird auch das Wort der ANC-Führung kaum noch etwas nutzen. Dann werden die ANC-Kader an der Basis die Waffenverstecke für die Selbstverteidigungseinheiten öffnen, egal was wir an der Spitze sagen.“