Ausgrenzung von Amts wegen

Der nordrhein-westfälische Innenminister lud zum Gespräch über „neue Flüchtlingspolitik“/ Im eigenen Land ist von der „neuen“ Politik nichts zu spüren/ Tagung ohne Ergebnisse  ■ Von Bettina Markmeyer

Duisburg (taz) — Für den nordrhein-westfälischen Innenminister Herbert Schnoor fiel die Pause aus. In der Mittagssonne redete er mit 250 „Flüchtlingsexperten“, denen er am Morgen keinen Einlaß in die Duisburger Mercator-Halle gewährt hatte. Es waren Roma, deren Forderung nach einem dauerhaften Bleiberecht Schnoor im Verlauf des letzten Jahres vergeblich versucht hatte umzusetzen. Die CDU hetzte im Landtag, des Sozialdemokraten Engagement für die Roma käme „Rechtsbruch“ gleich, und auch im Kabinett stimmten ihn die eigenen Ministerkollegen nieder.

Am Montag nun hatte Schnoor den Roma-Familien zu erklären, daß sie ihre, freilich aussichtslose, Forderung fortan nicht mehr ihm, sondern „Herrn Schäuble in Bonn“ unterbreiten müßten. Nach dem neuen Ausländerrecht dürfen die Länderregierungen nicht mehr über die Duldung oder Integration bestimmter Flüchtlingsgruppen entscheiden, sondern lediglich Abschiebestopps für höchstens sechs Monate erlassen. Derzeitige Duldungsregelungen bleiben nur gültig, wenn der Bundesinnenminister zustimmt. Wie Schnoor in Duisburg berichtete, werden, so der Beschluß der Innenministerkonferenz vom letzten Freitag, mit Stichtagregelungen nur noch ChinesInnen, ChristInnen und JezidInnen aus der Türkei, AfghanInnen und ÄthiopierInnen sowie bis Ende 1985 (!) eingereiste IranerInnen, LibanesInnen, PalästinenserInnen und später nachgefolgte Familienangehörige geduldet. Allen anderen droht die Abschiebung.

Sie droht auch den Roma, für die NRW noch eine Duldung bis Ende Juni ausgesprochen hat. So war denn Schnoors Pausengespräch mit der Gruppe, für die er sich, wie er selbst sagte, „mit vollem Risiko“ eingesetzt hatte, Ausdruck des „verunglückten Einstiegs“ (Bielefelder Flüchtlingsrat) in die „neue Flüchtlingspolitik“ an Rhein und Ruhr. Auf dem „Forum zur Ausländerzuwanderung: Fluchtburg oder Festung Europa?“, zu der der Innenminister im Rahmen regelmäßiger Diskussionsveranstaltungen der Landesregierung Engagierte und Interessierte aus Politik, Verwaltung und dem Initiativen-Spektrum geladen hatte, wurde das Roma-Rückführungsprojekt nicht erwähnt. Schon heute könnte sich kein Rom mehr „freiwillig“ für eine Rückkehr ins jugoslawische Skopje mit NRW-Finanzhilfe entscheiden, da er nach dem 1. Juli ohnehin abgeschoben würde. Das noch zu Jahresbeginn als „Pilotprojekt“ gefeierte Rückführungsvorhaben ist damit de facto gescheitert.

Die Behandlung der Roma in NRW ist ein Lehrbeispiel dafür, daß die Fluchtursachen, in diesem Fall die Heimatlosigkeit, noch lange nicht im Mittelpunkt hiesiger Flüchtlingspolitik stehen. Mit einer nur geringfügigen Starthilfe zurückgeschickt, würden die Roma in Jugoslawien dieselben, wenn nicht, angesichts des Nationalitätenkriegs, schlechtere Existenzbedingungen erwarten als vor ihrem Exodus. Vor allem aber waren und sind sie dort nicht erwünscht. Interesse zeigten die Jugoslawen bisher lediglich an den von NRW in Aussicht gestellten Zahlungen.

Das Duisburger Forum „Fluchtburg oder Festung Europa“ versäumte die Chance, die Ansprüche an Flüchtlingspolitik an der Wirklichkeit im eigenen Land zu überprüfen. Es blieb allgemein, unverbindlich, breit angelegt in Forderungen und Vorschlägen. Wie der prominenteste Gast, Willy Brandt, verlangten alle Redner — Rednerinnen gab es nicht —, künftig müsse die Bekämpfung von Fluchtursachen und nicht die Verwaltung von Flüchtlingsströmen Ausgangspunkt aller Flüchtlingspolitik sein. Es gehe nicht darum, so ein Teilnehmer aus der Schweiz, „mehr zu geben, sondern darum, weniger zu nehmen“, also die Wirtschaft der westlichen Länder anzugehen, die ihre Profite in den armen Ländern macht.

Einigkeit herrschte, daß Westeuropa längst Einwanderungsregion sei, noch mehr Menschen würden in Zukunft versuchen, vor Ausbeutung, Armut und Naturzerstörung hierher zu fliehen. Im Rahmen der politischen europäischen Union müßten nicht nur Kriterien für Einwanderung erarbeitet, sondern auch das Asylrecht gesichert werden, denn weiterhin sind die Menschenrechte in den wenigsten Ländern garantiert. Die Wirklichkeit sieht anders aus, wie ein Vertreter von amnesty international belegte. Mit den Abkommen von Schengen und Dublin bauen die Europäer Flüchtlingen neue Einreise-, Visa- und Asylhürden an den EG-Grenzen auf.

Das meistbenutzte Wort auf dem Duisburger Forum schließlich hieß „Akzeptanz“. Schon heute würde, so Ex-Minister Schmude, das Asylrecht gegen die Mehrheit der Deutschen verteidigt. Er wisse nicht, klagte Schnoor, wie er den Bürgern klarmachen solle, daß noch mehr Flüchtlinge kommen würden, Flüchtlingspolitik teuer sei „und dieses Geld dann anderswo fehlen wird“. Daß die Politik für die sogenannten Akzeptanzprobleme selber sorgen würde, kritisierten demgegenüber Flüchtlinge und VertreterInnen von Initiativen: Durch die Verschärfungen im Asyl- und Ausländerrecht würden „Menschen längst von Amts wegen ausgegrenzt“.