Friedrich der Große hat schließlich auch Flöte gespielt

■ Abseits von Preußens Glanz und Gloria befindet sich in Potsdam das Kulturprojekt fabrik e.V.

Einst Residenz brandenburgischer Kurfürsten und preußischer Könige, ist Potsdam heute immerhin wieder Sitz eines vom Konsistorials- zum Landespräsidenten gewandelten Mannes, der erst jüngst vom Tagesspiegel mit Deutschlands obersten Würdenträger Richard von Weizsäcker verglichen wurde. Auf der Havel-Insel, nur etwa 20 Kilometer südwestlich von Berlins Innenstadt, gibt sich Manfred Stolpe — trotz DDR-typischer Widrigkeiten — alle Mühe, mit moderat-diplomatischer Regentschaft an Preußens vergangenem monarchischen Glanz anzuknüpfen. Doch schon parallel zu Potsdams barocken, innerstädtischen Prachtboulevards offenbart die ehemalige Wahlheimat des Preußenkönigs Friedrich dem Großen die Wunden eines 40jährigen realsozialistischen Mangel-Alltages.

In der Gutenbergstraße, unweit des Nauener Tores, gleicht das Straßen-Pflaster so eher einem groblöchrigen Flickenteppich, der an seinen Rändern von verfallenen Ruinen umsäumt wird. Kein Wunder, daß sich von den insgesamt 17 Besetzergruppen in Brandenburgs Metropole allein derer vier hier angesiedelt haben.

Während drei der Gutenbergschen Häuser von ihren neuen, illegalen Nutzern bewohnt werden, soll der bereits im Mai 1990 okkupierte Seitenflügel der Hausnummer 105 zu einem multimedialen Kulturprojekt hergerichtet werden. Da die ehemalige Lagerhalle einer längst vergessenen Brauerei während 15 Jahren Leerstand von der Feuchtigkeitsfäule extrem verwittert wurde, hat sich die 20köpfige Gruppe fabrik e.V. auf ein strapaziöses, fast aussichtsloses Sanierungs- Abenteuer eingelassen. Allein bis zum Ende des vergangenen Jahres hatten die Besetzer — neben etlichen finanziellen Eigenleistungen — über 3.000 unentgeltliche Arbeitsstunden in das 40 Meter lange und neun Meter tiefe Hofgebäude gesteckt, um es so für eine erste kulturelle Nutzung zu erschließen.

Bereits seit September 1990 konnte so im Parterre des alten Gemäuers eine erste Konzertreihe durchgeführt werden, die die fabrik, neben dem Babelsberger Lindenpark, schnell ais zweiten Konzertveranstalter am Platz etablierte. Obwohl das musikalische Spektrum der fabrik dabei von Punkcombos à la Disaster Area über die Die Goldenen Zitronen bis hin zur modernen Kammermusik reichte, galt der Ort bei den Kids der Umgebung bald als Hardcore-Schuppen.

Nach einer Umbaupause, während der der Konzertbetrieb in den Keller des ehemaligen Lagerhauses verlegt wurde, stießen die jüngsten Live-Gigs — u.a. von den Australiern Nikki Sudden und Hugo Race — nur noch auf mäßiges Zuschauerinteresse. Obwohl die drei Veranstalter Z.A.P., Marsilah und Helen glauben, daß die Potsdamer die nahe Hauptstadt-Szene gegenüber den heimischen Clubs bevorzugen, ist die schwache Publikumsresonanz sicher wesentlich auch auf die unfertige bauliche Substanz des Gebäudes zurückzuführen. Größtes Manko neben der halligen Kellergewölbe-Akustik ist dabei die fehlende oder nur provisorische Beheizung.

Und obwohl die fabrik erst kürzlich in Eigenregie mit einem Notdach gedeckt werden konnte, fehlen in dem vierstöckigen Backsteingebäude noch immer etliche Zwischendecken. Da die Kommune dem Verein finanzielle Hilfe bei den Baumaßnahmen wegen fehlender Pachtverträge schließlich doch verweigerte, fehlt den Betreibern weiterhin die nötige Finanzkraft, um die geplanten, vielfältigen Kulturprojekte in die Realität umzusetzen.

Neben dem bereits aufgenommenen Konzert- und Barbetrieb sollen in der Gutenbergstraße langfristig Proben- und Übungsräume für Rockbands der Umgebung entstehen. Außerdem ist in der fabrik die Einrichtung von Werkstätten für Steinmetze, Metall- und Kunsthandwerker geplant. Zukunftsmusik besonderer Art ist, gerade wegen noch ausstehender öffentlicher Subventionen, die recht kostspielige Einrichtung eines kommunalen Kinos und eines Video- und Super-8-Studios.

Schwerpunkt der kulturellen Arbeit des Vereins — neben der Musik — soll allerdings die Entstehung eines ersten Potsdamer Tanzprojektes sein. Da in der Stadt bisher keine nennenswerte Tanzkultur besteht, hofft Vereinsmitglied Wolfgang Hoffmann mit zwei noch zu schaffenden Tanzstudios und einem Veranstaltungsraum — nebst variabler Bühne — eine peinliche Lücke im Potsdamer Kulturangebot füllen zu können. Workshops und Kurse für Laien und Semiprofis in »postmodernen Tanztechniken« sollen, so Wolfgang, dann im Mittelpunkt des Ausbildungsangebots stehen.

Erst jüngst sind in der bisher recht- und finanzlosen Zukunft der fabrik zwei Hoffnungsstreifen am Horizont aufgetaucht. Nachdem sich der Potsdamer Stadtrat für Kultur Wieland Eschenburg bei der Nachfolgerin der sozialistischen Kommunalen Wohnungsbau Verwaltung (KWV), für der Erhalt der Kulturfabrik eingesetzt hatte, winkt dem Verein nun ein offizieller Nutzungsvertrag durch die Eigentümergesellschaft GeWoBa. Auch soll ein für den Sommer geplantes überregionales Tanzprojekt des Vereins mit immerhin 90.000 DM aus verschiedenen Kulturtöpfen des Landes Brandenburg gefördert werden. Auf dem mehrtägigen, sogenannten »Internationalen Contact Jam« sollen Ende Juni Potsdams Straßen und Plätze modern betanzt werden. Als Höhepunkt ist ein Open Air Festival mit über 100 Tänzern und anschließender Live-Musik auf dem Pfingstberg vorgesehen.

In der näheren Zukunft will die fabrik ihrem Ruf als Hardcore-Veranstalter einmal mehr gerecht werden. Nachdem Chilli Confetti bereits am 26.4. den Auftakt des »Hardcore Superbowl« bestritten haben, werden am Sonntag die New Yorker Nausea (Siehe auch Ankündigung auf den Freitags- Seiten!) sicherlich für einen unruhigen Abend sorgen. Danach geht's dann munter gebündelt und wuchtig weiter. Text + Foto: Andreas Kaiser

Die nächsten Konzert-Termine:

Am 12.5. Nausea (New York)

Am 18.5. Assassins Of God (San Francisco)

Am 20.5. Concrete Sox (UK)

Am 23.5. Flag Of Democracy und The Big Thing (beide Philadelphia)

Beginn ist jeweils 21 Uhr in der Gutenbergstr.105 in Potsdam