SPORTKOLUMNE VON KLAUS NÜSSER
: Das „Maifieber“ bleibt dieses Jahr aus

■ Traditionsreiche „Friedensfahrt“ führt dieses Mal nicht durch deutsche Lande/ „FF“-Fans hoffen auf nächstes Jahr

Es fehlt mir etwas in diesen Tagen: In den vergangenen Jahren hatte ich immer eine besondere Krankheit im Mai — das Friedensfahrtfieber. Darauf müssen mit mir viele verzichten, die von Kindheit an Anhänger dieses Rennens waren.

Die 1948 ins Leben gerufene Fahrt, damals wie in diesem Jahr zwischen Prag und Warschau, gehört in der ostdeutschen Sportgeschichte zu den herausragenden Ereignissen. Fehlten deutsche Fahrer bei den ersten Rundfahrten, weil der deutsche Faschismus noch zu tiefe Spuren hinterlassen hatte, gehörte man bald zu den Mitveranstaltern.

Anfangs der fünfziger Jahre, der DDR-Sport spielte noch keine Rolle, war international noch nicht einmal in allen Verbänden anerkannt, war es die sportliche Großveranstaltung im Land. Ein Friedensfahrer wurde zur Symbolfigur — Gustav Adolf Schnur. Der Magdeburger gewann 1955 diese Rundfahrt. Es war einer der ersten großen sportlichen Erfolge der DDR. Er wurde außerdem 1958 und 1959 Straßenradweltmeister, gewann 1959 erneut die Friedensfahrt und erkämpfte dank einer taktischen Meisterleistung 1960 den zweiten Rang bei der Weltmeisterschaft auf dem Sachsenring. Da sah man neben seiner sportlichen Größe seine menschliche Stärke, als er Bernhard Eckstein abfahren ließ, auf seine Titelchance verzichtete, damit der Sieg möglichst sicher in der Heimat blieb. Aus diesen Gründen und weil andere Sportgiganten noch selten waren, wurde er neunmal hintereinander zum DDR-Sportler des Jahres gewählt und noch Jahrzehnte später zum beliebtesten Sportler aller Zeiten im Osten Deutschlands.

Aber zurück zur Fahrt. Fast jedes Kind wollte irgendwann mal Friedensfahrer werden. Ich zum Beispiel war so begeistert, daß ich 1957 von Bautzen nach Görlitz mit dem Sonderzug fuhr, der so voll war, daß ich mir nicht mal das Taschentuch aus der Hosentasche holen konnte — so groß war das Gedränge. An der Strecke standen wir in der vierten Reihe, sahen den „Gelben“ Nentscho Christow, sahen „Täve“ Schur im sekundenschnell vorbeihuschenden Feld nur als Schemen. Trotzdem waren wir glücklich, dabei zu sein.

So war es ein Kindheitstraum, mal mit Täve zu sprechen und die Friedensfahrt zu erleben. Beides konnte ich mir erfüllen. Die Friedensfahrt war inzwischen das größte Amateuretappenrennen der Welt. Fahrer wie Olaf Ludwig, Uwe Raab, Uwe Ampler und viele, viele andere waren in aller Munde. Für sie war die Friedensfahrt — wie sie mir bestätigten — ein Anlaß, um mit dem Radsport zu beginnen. Und sie wurden Klasserennfahrer, bestimmten auch als Profis die Szene mit. Uwe Raab ist jetzt gerade bei der Spanienrundfahrt „gut drauf“ und Olaf Ludwig holte als Neoprofi bei seiner ersten „Tour de France“ gleich das Trikot des besten Sprinters. Bei meinen Friedensfahrtteilnahmen als Journalist lernte ich auch den französischen Trainer Yves Hezard kennen, der als Profi die Tour gefahren war und mir bestätigte, daß das Rennen zwischen Prag-Berlin-Warschau etwas besonderes ist.

Wolfram Lindner, der auch in diesem Jahr als Trainer dabei ist — übrigens zum 21.Mai — kämpfte wie Täve und viele andere um den Erhalt dieses Rennens. Es hat ja neben seiner sportlichen Bedeutung auch noch einen Symbolgehalt.

Zwar geht es in diesem Jahr im Zug der Zeit um harte Dollars — der Etappengewinner erhält immerhin 200 und der Zehnte noch 40 D-Mark, aber ein bißchen des alten Geistes ist noch da. Sonst hätte die Fahrt, immerhin noch Weltcuprennen und trotz der Kürze durch die bergige Streckenführung auch anspruchsvoll, nach dem deutschen Ausstieg nicht stattfinden können. Die polnischen und tschechoslowakischen „FFF“ (= Friedensfahrtfans) sorgten dafür. Auch wir deutschen „FFFs“ hoffen, 1992 wieder unser „Maifieber“ zu bekommen. Werner Göhner, Präsident des Bundes Deutscher Radfahrer, erklärte: „Wir werden alles solide vorbereiten und dann wird im nächsten Jahr die Friedensfahrt wieder durch Deutschland führen.“