Sachsen-Anhalt kann's ohne Atom

■ Umweltminister Rauls (FDP): AKW Stendal politisch nicht durchsetzbar/ Wirtschaftsministerium in Magdeburg sieht Braunkohle als Alternative/ AKW-Planung zum Investitionshemmnis geworden

Berlin (dpa/taz) — Die Energieversorgung in Sachsen-Anhalt ist auch ohne „eigenes“ Atomkraftwerk gesichert. Das ist der Tenor der Experten nach dem endgültigen Aus für den Bau von Atomreaktoren in Stendal. Umweltminister Wolfgang Rauls (FDP) geht nicht mehr davon aus, daß ein AKW-Bau in Stendal durchsetzbar ist, bestätigte sein Pressesprecher Johannes Altincioglu.

Am vergangenen Wochenende hatte der umweltpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Harald Schäfer, gegenüber Rauls noch einmal erklärt, daß es mit seiner Partei weder neue Atomkraftwerke noch den Ersatz abgeschalteter Atommeiler geben wird. Damit ist der von Bundeswirtschaftsminister Jürgen Möllemann (FDP) und den großen Stromversorgern geforderte große Konsens außer Sicht geraten. Für Rauls waren die Konsequenzen klar: Es sei unwahrscheinlich, daß Investitionen in ein neues Atomkraftwerk zustande kommt, so der Minister. Folglich müsse man eben alternative Konzepte entwickeln, auch für den Standort Stendal.

Darüber macht man sich jetzt in Sachsen-Anhalts Wirtschaftsministerium Gedanken. Im geplanten „Energiemix“ für das Land hatten die Beamten dem Atomstrom aus Stendal einen nicht unbedeutender Platz eingeräumt. „Unser Energiekonzept steht und fällt aber nicht mit dem KKW, obwohl wir mit ihm kalkuliert haben“, sagte Ministeriums- Sprecher Helmut Starauschek. Starauschek hält es für denkbar, daß in der Stromproduktion des Landes jetzt die Braunkohle doch ein stärkeres Gewicht behalten wird als zunächst vorgesehen.

Der Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Grüne in Sachsen-Anhalts Landtag, Hans-Jochen Tschiche, sieht in dem „Nein“ für weitere Atommeiler einen Sieg für eine „langfristig vernünftige Politik“. „Wir haben immer gesagt, daß es unverantwortlich ist, weiter in diese Richtung zu gehen“, sagte Tschiche. Außerdem sei die Stromerzeugung im Altbundesgebiet so hoch, daß neue Reaktoren „hier sowieso unnötig wären“.

Nachdem im März der endgültige Stopp für den Weiterbau von zwei noch zu DDR-Zeiten bei Stendal in Angriff genommenen sowjetischen Reaktoren gekommen war, hatten Energieerzeuger, Bundes- und Landesregierung sowie die Kernkraftwerk Stendal GmbH die Errichtung von vor zehn Jahren entwickelten bundesdeutschen Atomreaktoren favorisiert. Dabei war auch immer wieder das Argument angeführt worden, auf diese Weise könnten in und um Stendal zahlreiche Arbeitsplätze gesichert und geschaffen werden.

UmweltschützerInnen bezweifelten das (taz 6.Mai). Im Gegenteil, so hielten sie zuletzt auf einer Anhörung am vergangenen Wochenende dagegen, das geplante Atomkraftwerk schrecke Investoren und vor allem TouristInnen ab. So läge in der Stendaler Stadtverwaltung ein Brief vor, in dem 112 Unternehmen Investitionen ihrerseits in der Region davon abhängig machten, daß kein Atomkraftwerk gebaut wird. Für diese Firmen könnte jetzt das Signal auf Grün stehen.

Die Terrain mit den Milliardenruinen bei Stendal könnte als Industriestandort genutzt werden. In den riesigen Werkstatthallen könnten mittlere Maschinenbauunternehmen unterkommen. Bei Hauptgeschäftsführer der Kraftwerksgesellschaft, Harald Gatzke, liegt dafür ein Konzept bereits auf dem Tisch. Um den Energiestandort Stendal zu retten, könnte man zudem einen bereits seit längerem vorliegenden Alternativvorschlag aus der Tasche holen und auf einen kombinierten Steinkohle- Erdgas-Block umsteigen. ten