Nahaufnahme über den »Krieg in den Städten«

■ Berliner Autoren stellen Buch über gewalttätige Streetgangs vor/ Im Westteil schlagen nach Polizeischätzungen 4.000 Jugendliche aufeinander ein

Berlin. Das Thema ist in aller Munde: Skinheadgruppen schlagen sich für Deutschland, türkische Streetgangs mischen deutsche Gegner auf, Hooligans prügeln sich mit autonomen Hausbesetzern. Mehr als 4.000 Jugendliche schlagen nach Schätzungen der Polizei alleine in West-Berlin brutal aufeinander ein. Die Berliner Journalisten Klaus Farin und Eberhard Seidel-Pielen stellten ihr Buch Krieg in den Städten vor, in dem sie auf 150 Seiten versuchen, Entstehung und Ursachen der unterschiedlichen jugendlichen Streetgangs darzustellen. Das Werk ist das Ergebnis einer Reise durch die Welt der gewaltbereiten Jugendlichen in Momentaufnahmen, Hintergrundberichten und Interviews.

»Es war auch für uns alle überraschend, wie sensibel viele der jungen Leute im Einzelgespräch waren und wie leicht auch der Zugang zu den meisten war«, faßt Seidel-Pielen ihre Erfahrungen zusammen. Auch rivalisierende Jugendgruppen brachten die Autoren zusammen, und »auch da waren viele sehr offen und überrascht von gemeinsamen Denkweisen«. Nicht Unterschiede wurden deutlich, sondern ein oft sehr ähnliches Weltbild: Männlichkeitswahn, rassistische Sichtweisen sowie die Betonung des Rechts des Stärkeren verbunden mit einer hohen Gewaltbereitschaft legen die meisten Streetgangs ungeachtet ihrer Herkunft an den Tag. Bei aller Rivalität beziehen sich die Autoren auf das verbindende Element der »Kriegserklärung an die bundesrepublikanische Mehrheitsgesellschaft und die eigene Elterngeneration von überwiegend proletarischen Jugendlichen.«

Die momentane Entwicklung lasse sich nicht auf eine Stufe stellen mit vorhergegangenen Jugendbewegungen. Denn es mache einen »gewaltigen Unterschied, ob Jugendliche gegen das Establishment oder den autoritären Charakter aufbegehren« oder »Jagd auf Kanaken machen, ohne mit der Politik etwas zu tun haben zu wollen«. Für die beiden Autoren ist die neokonservative Wendepolitik ebenso dafür verantwortlich wie das Versäumnis der vergangenen 30 Jahre, eine konstruktive Streitkultur aufzubauen. Verantwortlich seien auch Sozialarbeiter und Lehrer, die die Jugendlichen zu lange mit einem »positiven Rassismus« überfordert und das Bild des edlen und hilflosen Ausländers kultiviert hätten.

»Auch die linke, demokratische Öffentlichkeit war bisher unfähig, mit Bruchstellen und Konflikten umzugehen«, bedauert Seidel-Pielen. So sei es auch kein Wunder, daß eine »vergessene und stumme Generation« jetzt im Scheinwerferlicht des öffentlichen Interesses eine Bühne gefunden habe, die ihnen endlich Aufmerksamkeit verschafft. Als Ausweg aus dem Konflikt wünschen sich die Autoren mehr offene Jugendarbeit sowie mehr Räume für Jugendliche. Die offizielle Politik habe jedenfalls versagt. »Die eingeleiteten Maßnahmen wie ein Gewalt- Gutachten und Hooligan-Dateien führen nur zu Ausgrenzung, die die Gewaltspirale weiter hochschraubt.«

Eine gefährliche Situation: Wenn schon heute jeder 15. türkische männliche Jugendliche in West-Berlin mit personenbezogenen Daten registriert ist, ist er vielleicht schon morgen auch für Lehrer, Sozialarbeiter und Streetworker nicht mehr greifbar. Jeanette Goddar

Klaus Farin/ Eberhard Seidel-Pielen: Krieg in den Städten — Jugendgangs in Deutschland , Rowohlt- Verlag, 15 DM.