Kein schöner Stück in dieser Zeit

■ Botho Strauß' »Schlußchor« von den Münchener Kammerspielen unter der Regie von Dieter Dorn im Deutschen Theater

Was noch hinzufügen zur Bothoisierung unseres gesellschaftlichen Daseins und seiner selbstgefälligen Dornisierung ins Spiel? Wo Botho und Dieter doch einen geschlossenen »Schlußchor« bilden, sich bei den Händen halten und vorsingen, daß sie die größten sind?

Dabei sind sie, die den Kommentator, den Kritiker verachten, doch so gierig nach ihm: von der ersten bis zur letzten Szene läßt Dieter Dorn die Schauspieler nach ihm Ausschau halten, über die Rampe starren, den Blick des Draußen abfangen; auch Botho Strauß holt ihn bereits ins Innere des Stücks. Er steht schon im Anfangsbild als Fotograf mit in der Szene, nimmt den Zuschauer den tötenden Blick ab. Was der in der Folge zu sehen bekommt, ist durch das kalte Kameraauge bereits vernichtet, gefrorener Schein, »ich seh' jetzt schon aus, wie ich mich später auf dem Bild sehen werde«, so in etwa, wie es eine der Mitwirkenden sagt.

Das Töten ist in Stück und Inszenierung Prinzip. Vom Standfoto der ersten Szene bis zum Kampf mit dem Adler im Schlußbild geht es um deutschen Tod. Hineingehalten in ein Standfoto, das einen Betriebsausflug darstellt, der ein historisches Seminar oder ein Klassentreffen oder ein Chor ist, zeigt sich eine tote Gesellschaft, aber auch der Tod ihrer Repräsentation. Da, wo das Individuum nur noch Partygeselle ist und sein gesellschaftlicher Beitrag aus Bonmots und bemühten Witzworten besteht, kann es sich im heroischsten Fall nur vor dem Garderobenspiegel erschießen — der Effekt mit dem Blut auf dem Spiegel und dem Phantasma der Frau kommt immerhin gut. Der Rest allerdings ist leere Zeit. Dem sich in der Pose gefallenden Theater gelingt nicht mehr die Erfüllung des Scheins, der vielbezügliche Blick trifft auf nichts Unerkanntes, sieht zuletzt nur immer den goldenen Rahmen, der rund um die Bühne hängt.

Die deutsche Geschichte ist in Bothos postwendischer Blasiertheit der Endkampf einer auf Geschichte beharrenden Widerstandskämpfertochter mit einem aus dem Zoo befreiten Adler: sodomitischer Beischlaf mit der Nation? Zitat eines Mythos, mythologisierendes Zitat, Rupfen der Mythologie, oder wierum ist es gedacht?

»Von der Garderobe bis zur Toilette ist alles Benefiz«: Genauso gratis ist Dieter Dorns Deutschlandarbeit. Das Straußsche Partygeflüster wird mit pneumatischem Nachdruck gesetzt, jede Nichtigkeit darf wohlklingend ins Nichts hinein verklingen, die Aura wird mit Zeitdehnung bemüht — einige HMIs wissen denn auch patentgerecht hoch- und runtergedimmert zu sein. Die Münchener in ihrem notorischen Minderwertigkeitshaß auf die Berliner staffieren den Ostler mit einem Schottenrock aus und tünchen die Gartenkneipe vom Tisch bis zum Rasen in Einheitsweiß: undistanziert bedienen sie alle West-Ost-Klischees. Umhüllt von Deutschlandfahne und Beethovens Neunter tragen die schönen Clarin- und Melliestöchter ihre schönen ätherischen Stimmchen und Wesenheiten auf die Bretter — irgendwie ist es ein Segen, daß sie nur der sterile Blick des Insiderpublikums trifft.

Dieter Sturm beispielsweise, immer tiefer im Zuschauersessel versinkend, überdachte währenddessen seine Dramaturgiekonzeption für die anstehende Schaubühnenbearbeitung des Stücks, Libgart Schwarz schielte auf die Gegenausführung ihrer zukünftigen Adlerverschlingmichrolle, Nele Härtling ward nach der Pause nicht mehr gesehn, Meister Eckart hielt im Rang tapfer durch, und Buhrufe gab es ab der zwanzigsten Reihe aufwärts, Dieter Dorn gab sie ans Publikum zurück. Michaela Ott

Heute um 19.30 Uhr im Deutschen Theater.