Ohne Scham

■ Zu dem Urteil gegen CDU-Schatzmeister Walther Leisler Kiep

Die Straftaten haben in weiten Teilen der Bevölkerung zu großer Unruhe geführt.“ Von dem Strafmaß werde es abhängen, ob der Staat das „Vertrauen der Bevölkerung“ in die „Durchsetzung der Steuergesetze ohne Ansehen von Personen“ nach dem Parteispendenskandal wieder festigen könne. Mit diesen Worten hatte Staatsananwalt Helmut Dropmann sein Plädoyer im Verfahren gegen den CDU-Schatzmeister Walther Leisler Kiep beendet. Der Appell blieb ohne Wirkung. Selbst Beihilfe zu einem „Steuerschaden in exorbitanter Höhe“ von 7,4 Millionen D-Mark kostet einen wie Kiep lediglich eine Geldstrafe.

Daß der CDU-Schatzmeister sogar die Stirn besitzt, angesichts der nachgewiesenen Straftaten einen Freispruch zu verlangen, illustriert, wie sicher sich die politische und ökonomische Elite in diesem Land fühlt. Kieps schamlose Selbstsicherheit basiert auf festem Grund. Einen Aufschrei der Bevölkerung hat er ebensowenig zu befürchten, wie die Käufer der Politik, die Oetkers, Merkles, Henkels oder Flicks. Otto Graf Lambsdorff, ein Steuerhinterziehungsgehilfe von hohen Graden, kehrte nach seiner Verurteilung als FDP-Vorsitzender zurück — und die FDP gewann Stimmen dazu.

Tatsächlich hat der Verrat am Rechtsstaat, der sich im Verlauf des schmierigen Parteispendenbetruges offenbarte, die große Masse nie interessiert. Eine Republik ohne Republikaner, eine zur Selbstreinigung unfähige Gesellschaft, nur am Fressen interessiert, so präsentierte sich die westdeutsche Demokratie während der Affäre. Ohne den 'Spiegel‘ hätte sich das Establishment unter tätiger Mithilfe der Sozialdemokraten sogar noch selbst amnestiert. Eine von Fäulnis befallene Gesellschaft, die ein paar Journalisten, eine Handvoll Bonner Staatsanwälte und ein mutiger Steuerfahnder namens Klaus Förster vor dem völligen Absturz ins moralische Nichts bewahrt haben. Walter Jakobs