Echte und falsche Wunder

Im französischen Cieux stand eine Oma von den Toten auf. Die 89jährige Frau hatte die Schnauze voll vom Leben, begab sich zu einem kleinen Weiher und ertränkte sich. Ein Angler zog wenig später die alte Dame an Land, die trotz aller Wiederbelebungsversuche keinen Pieps mehr von sich gab. Der herbeigerufene Arzt unterschrieb den Totenschein. Doch als der Krankenwagen sich mit der vermeintlichen Wasserleiche auf dem Weg zum Friedhof befand, blieb dem Fahrer fast das Herz stehen, als er hinter sich laute Schreie hörte. Die zähe Oma wurde flugs in die Uni-Klinik geschafft und schwebte schon nach wenigen Stunden nicht mehr in Lebensgefahr.

Auch in Portland im US-Bundesstaat Oregon ereignete sich ein kleines Wunder. Hier rettete die eigene Blutspende die Spenderin. Die 29jährige Cheron McGuffey hatte Blut gespendet, denn es könnte ja jemandem nach einem Verkehrsunfall das Leben retten. Am anderen Tag hatte die gute Cheron selbst einen Unfall und erlitt dabei einen Leberriß und andere schwere Verletzungen. Im Krankenhaus hörte Cheron die Ärzte über eine Bluttransfusion sprechen und konnte, kurz bevor sie das Bewußtsein verlor, noch von ihrer eigenen Spende berichten. Die Konserve wurde nach halbstündiger Suche gefunden und rettete ihr das Leben.

Das alles sind natürlich keine echten Wunder. Richtige Wunder haben immer etwas mit Religion und Glauben zu tun. Wie zum Beispiel das Blutwunder von Neapel, das in diesem Jahr mit dreitägiger Verspätung kam. Letzten Samstag waren die Gläubigen, wie stets am ersten Samstag im Mai, in den Dom der süditalienischen Stadt geströmt, wo das eingetrocknete Blut des Anno Domini 305 geköpften Heiligen Januarius — des Schutzpatrons Neapels — in zwei Einweckgläsern aufbewahrt wird. Zweimal im Jahr, am ersten Samstag im Mai, dem Tag, da die heilige Leiche nach Neapel überführt wurde, und am 19. September, dem Tag der Hinrichtung, soll sich das eingetrocknete Blut verflüssigen. Das Ausbleiben des Blutwunders würde bedeuten, daß der Stadt eine Katastrophe bevorsteht. Samstags war's Essig mit dem Blut. Die ganze Gemeinde betete äußerst heftig und wurde am Montag erhört.

Selbstverständlich hat sich auch schon die Wissenschaft mit dem blutigen Phänomen beschäftigt. Ihre verblüffende Erklärung: Die Körperwärme der im Dom versammelten Gläubigen verflüssigt das Blut. Na, wenn das zutrifft, dann handelt es sich wirklich um ein echtes Wunder. Karl Wegmann