»Keine Spargel in die Stadtlandschaft«

■ Der neue Senatsbaudirektor Hans Stimmann ist gegen den Drang Berliner Architekten und Politiker, Hochhäuser ins Zentrum zu plazieren/ Privatautos nicht in die Innenstadt/ Für die Altbausanierung wird künftig weniger Geld dasein

taz: Wofür braucht man denn einen Senatsbaudirektor?

Hans Stimmann: Da ist die Aufgabe, dafür zu sorgen, daß nicht nur gebaut wird und etwas Nützliches entsteht, sondern, daß dabei auch Baukultur entsteht, Baukunst, Ingenieurbaukunst. Das betrifft einmal den Bahnbau und zweitens die öffentlichen Hochbauten — Schulen, Kindertagesstätten, Feuerwehren, Gerichtsgebäude. Es geht auch ums private Bauen. Hamburg oder Frankfurt haben in den letzten Jahrzehnten Hunderttausende von Quadratmeter Büroflächen gebaut. Das hat Berlin vor sich. Dafür haben wir aber nicht 25 Jahre Zeit, sondern vielleicht nur zehn Jahre. Dabei besteht die irrsinnige Gefahr, daß nicht Qualität entsteht, sondern Bürostapelware der Sorte, wie wir sie nicht brauchen.

Was halten Sie von der Idee, Hochhäuser auf dem Potsdamer Platz zu errichten?

Davon halte ich innerhalb des S-Bahn-Rings wenig, denn da ist die Stadt eigentlich da. Die Leute, die glauben, Berlin muß neu erfunden werden, kommen entweder aus Houston, London oder Westdeutschland oder haben einen ganz merkwürdigen Investorenblick. Ich habe 17 Jahre in Berlin gelebt und liebe, wie wir alle, diese Stadt mit ihren Straßen und Plätzen und den Bäumen in Kreuzberg und Charlottenburg. Und dieses Berlin darf nicht Opfer einer irrsinnigen Bauwut werden. Man darf nicht die Fehler anderer Städte wiederholen, irgendwelche Spargel in die Stadtlandschaft zu setzen, statt die historischen Blockränder zu schließen.

Das klingt wie ein Plädoyer gegen Hochhäuser...

Ich bin nicht dagegen, finde den Typus Hochhaus jedoch nicht sonderlich angenehm — weder fürs Wohnen noch für Büros. Aber es muß wohl sein, weil sonst manches nicht unterzubringen ist. Aber dann bitte am Messedamm oder am Schöneberger Kreuz oder noch weiter draußen. Manche Berliner Architekten und Politiker haben einen fast naiven Nachholbedarf in bezug auf Hochhäuser. Die sind so wie die Ossis mit ihren Westautos. Wir haben uns das abgeschminkt, wir haben Autos, aber wir sind nicht mehr so wild darauf. Aber für die Ossis ist das der Traum von Zukunft, die müssen einen BMW haben oder einen Manta. Und manche Berliner Architekten fahren eben genauso ab auf Hochhäuser.

Und in Westdeutschland ist das anders?

In Frankfurt winken inzwischen schon alle ab, wenn da noch ein Spargel geplant wird. Da reden die Leute davon, daß sie ihr Gutsleutviertel — das ist die Bahnhofsgegend — bewahren wollen. Denn die wissen ganz genau, wenn sie so ein Ding reingedonnert kriegen, fallen links und rechts alle Wohnungen und sie werden Opfer der Verdrängung. In Hamburg wurde kürzlich das Gruner+Jahr-Haus fertiggestellt. Das hat circa 90.000 Quadratmeter Bürofläche, gut ein Drittel von dem geplanten Daimler-Bau am Potsdamer Platz und ist trotzdem kein Hochhaus. Es ist wunderschön, fügt sich ins Stadtbild ein, man kann mittendurch laufen, es gibt keinen Fahrstuhl...

Fast wie in der taz...

... wenn das traditionell gebaut worden wäre, dann stünden da zwei Pinsel, dann gäbe es einen Platz mit einem Denkmal drauf und regelmäßig gesetzten Bäumen — jedenfalls etwas, wo man sich nicht aufhalten kann. Meinen Hamburger Kollegen Kossack hätten sie übel beschimpft, wenn er da ein Hochhaus hingesetzt hätte. Auch in München oder Paris baut keiner in der Innenstadt ein Hochhaus. Denn wenn man im 18. Stock arbeitet, muß man eine Klimaanlage haben und kann die Fenster nicht mehr öffnen. Das bedeutet, man hört kein Geräusch mehr, hat keine Kommunikation mehr zum Alltag, riecht die Straße nicht mehr, hat immer die gleiche Temperatur von 18 oder 21 Grad und deshalb sind die Leute in diesen Dingern ständig erkältet.

Die Berliner Hochhäuser sehen billig aus. New Yorks Hochhäuser wirken viel luxuriöser.

Sind sie ja auch. Wir haben eh nur drei Hochhäuser in Berlin: Der Steglitzer Kreisel, das ist ein richtiges Spekulationsobjekt. Der ist nur entstanden, weil es ihnen peinlich war, das Ding da halbfertig rumstehen zu lassen. Dann das Europacenter, eigentlich das einzig richtige Beispiel für ein Bürohaus mit Geschäften. Und dann dieses Hotel am Alexanderplatz — eine technologisch bescheidene Plattenkiste. Aber das sind alles keine richtigen Türme. Das ist die Sorte Häuser, die man in Frankfurt wieder abgerissen hat.

Und Sie wollen, daß in der Innenstadt anders gebaut wird?

Wir müssen zusammenrücken und Berliner Qualität bewahren. Und da haben wir eine große Chance: viele Flächen an der Spree und an der Havel, die um die Jahrhundertwende besetzt worden sind mit Industriebauten. Diese Industrie wird allein unter logistischen Gesichtspunkten vor die Tore der Stadt wandern. Und an deren Stelle hat Berlin nun die Möglichkeit, Wohnungen in neuer Qualität zu produzieren.

Wann eigentlich? Am langgeplanten Wohnungsbauprojekt Moabiter Werder wurde noch kein Spatenstich getan. Wie lange soll dann der Bau der Wasserstadt Oberhavel dauern?

Die Zeit ist ein Problem. Für solche Großprojekte braucht man zwei oder drei Wahlperioden bis zur Fertigstellung. Aber zehn Jahre sind für eine Stadt nur eine Minute.

In zehn Jahren wird Berlin fünf Millionen Einwohner haben, womöglich in Barackenstädten...

Die Zahl von fünf Millionen schreckt mich gar nicht. Berlin ist jetzt schon die siebtgrößte Stadt in Europa. Wir haben 3,4 Millionen Einwohner, weniger als in den dreißiger Jahren. Und seit dieser Zeit sind wirkliche Metropolen — London, Madrid, Paris — unglaublich gewachsen. Warum haben wir Angst vor ein paar mehr Einwohnern?

Vielleicht, weil es Verdrängungsprozesse geben wird.

Zunächst einmal wird viel Industrie an den Stadtrand ziehen. Dann werden die alten Industriestandorte wieder besetzt werden mit Wohnungen oder Büros. Und dieser Ersatzprozeß bringt neue Menschen in die Gegend. Diese neuen Menschen werden auch Verdrängungsprozesse auslösen, natürlich...

Was wird der Senat dagegen tun?

Bausenator Nagel will die Mietpreisbindung so verfestigen, daß normale Menschen in der Innenstadt wohnen können.

Ich sehe nicht, daß das passiert.

Senator Nagel hat eine neue Initiative angekündigt...

Angekündigt, eben.

Die Mietpreisbindung ist eine Bonner Regelung und Sie wissen, wie schwer die durchzusetzen ist.

Und was wird aus Trabantenstädten wie Marzahn?

Ich vermute: Auch da werden Wanderungsprozesse beginnen. In Hellersdorf wohnen Ingenieure, Lehrer, Facharbeiter und Hilfsarbeiter in einem Block. Wir im Westen haben die Eigenschaft, uns sozial zu segregieren — und das werden die auch tun. Also der Ingenieur, der auf BAT/2A eingerückt ist, wird als erster die Kurve kratzen. Der wird vielleicht in eine Wohnung ins Märkische Viertel ziehen, weil er das immer noch besser findet als Hellersdorf. Und in seine Wohnung in Hellersdorf werden Leute einziehen, die sich das Märkische Viertel nicht leisten können.

Der Senat könnte etwas gegen Verdrängungsprozesse tun. Etwa Sanierungsgebiete ausweisen...

Das passiert ja auch massenhaft.

Es gibt die alten Sanierungsgebiete im Westen von vor 30 Jahren, aber kaum welche in Ost-Berlin.

Wir haben 58 Untersuchungsbereiche ausgewiesen. Aber für ein Sanierungsgebiet muß auch Geld dasein. Mit viel Geld könnte man sehr viel machen, so wie damals die IBA in Kreuzberg. Aber weil künftig nicht so viel Geld dasein wird, brauchen wir neue Strategien, denn wir haben uns ein irrsinnig hohes Niveau angewöhnt. Bis hin zum Poller bei der Verkehrsberuhigung wurde alles mit öffentlichen Geldern gemacht. Das wird sehr viel einfacher werden müssen. Die Senatsbauverwaltung hat eine Stadt mit 1,4 Millionen Einwohnern übernommen, größer als München und hat kaum geschultes Personal dazubekommen. Da werden wir uns etwas anderes ausdenken müssen, andere Sanierungsverfahren, andere Mietregelungen, anderer Umgang mit privaten Investoren.

Man muß ja nicht alle Probleme mit Geld lösen. Es gibt etwa in Tiergarten eine Erhaltungssatzung, die den Kiez schützen soll.

Ich halte es grundsätzlich für richtig, solche Instrumente auch flächenhaft einzusetzen.

Was den Umgang mit Investoren angeht, wird offensichtlich vieles hinter verschlossenen Türen entschieden, gerade in Ost-Berlin.

Das ist wirklich objektiv sehr kompliziert mit diesen ganzen Rückübertragungsfragen. Und das unterliegt alles dem Datenschutz. Aber ich denke auch, daß das transparenter werden muß.

Ihr Senator hat ja selbst zu rot- grünen Zeiten seine Liebe zur Autobahn demonstriert. Er hat den Weiterbau in Neukölln propagiert und wollte den Autobahnring um die Stadt herum schließen. Sie selbst hatten vorgeschlagen, das Brandenburger Tor wieder durchfahrbar zu machen. Ist die autogerechte Stadt wieder angesagt?

Ganz im Gegenteil, Metropole kann nicht autogerecht sein. Da können also nur bestimmte Leute in die Stadt fahren. Und ich bin nicht dafür, weitere Autobahnen zu bauen.

Sie sind also gegen die Schließung des Autobahnrings?

Ja, das ist meine persönliche Grundposition. Die Straßen sollten so bleiben, wie sie sind und eher muß man sie noch zurückbauen, etwa im Bereich der Leipziger Straße. Das bedeutet natürlich, daß man mit der Straßenfläche ökonomisch umgehen muß, weil nicht alle draufpassen. Da muß man fragen: Wer ist wichtig und wer ist unwichtig. Wichtig ist natürlich die BVG und der gewerbliche Verkehr. Und der müßte auch durchs Brandenburger Tor.

Der kann doch auch durch die Leipziger Straße.

Aber der Gewerbeverkehr muß in die Stadt reinkommen, wie auch die Leute, die mit der BVG fahren, die Fahrräder und die Fußgänger sowieso. Und alle anderen, auch die, die mit dem Auto zur Arbeit fahren, kommen erst an dritter Stelle. Aber: Die Stadt muß dann auch offen sein. Eine Ader zuzumachen bedeutet, daß der Verkehr woanders hingeht. Und warum soll die Straße Unter den Linden anders behandelt werden als die Leipziger Straße?

Weil das Brandenburger Tor die Erschütterungen und die Abgase durch den Autoverkehr nicht so wahnsinnig gut vertragen würde. Und außerdem ist es doch gar nicht kontrollierbar, wer nun Gewerbe ist und wer nicht.

Natürlich kann man das kontrollieren. Da gibt es verschiedene Modelle, die in Oslo oder Tokyo entwickelt wurden. Das geht entweder mit Plaketten, die Geld kosten oder per Computer, die die Leute dann zur Kasse bitten. Und das wird in Berlin auch geschehen. Eva Schweitzer