Noch 43 Tage Hauptstadtrennen

■ Wie man in Bonn den 20.6. erwartet/ Nur noch Hoffnung auf »Berlin und Bonn«

Berlin/Bonn. Wie viele Tage haben wir denn noch, fragt der Bonner Oberstadtdirektor Dieter Diekmann seinen Pressesprecher. Der nennt die Zahl 43. Die Zeitrechnung im 2002 Jahre alten Bonn ist auf den 20. Juni ausgerichtet, den Tag, an dem der Deutsche Bundestag sich auf den Ort des deutschen Regierungs- und Parlamentssitzes festlegen will. Der Countdown läuft.

Statt auf eine Entscheidung »Berlin oder Bonn« seien die Resthoffnungen der kleinen Stadt am Rhein nun eher auf ein »Berlin und Bonn« gerichtet, meint Diekmann am 43. Tag vor Ultimo. Auch am 43. Tag möchte der Oberstadtdirektor das »low profile« einer »positiven Bescheidenheit« nicht verlassen, mit dem die 22. unter den größten deutschen Städten die Hauptstadtkampagne von Anbeginn bestritten habe. Was blieb uns denn, klagt er, schlugen sich doch auf die Seite des »gut funktionierenden Regierungssitzes« nur wenige bis niemand von den Mächtigen, die die Medien beherrschen. Substanz erwartet der 50jährige, seit vier Jahren sein Amt ausübende Oberstadtdirektor in der oft mit »abenteuerlichen Vorstellungen« gewürzten Regierungssitz-Diskussion — so etwa, die Spitzen ziehen nach Berlin, und der Troß verbleibt in Bonn — nun keine mehr. Abgesehen mal von dem für Ende Mai angekündigten Gutachten des Bundesfinanzministers zu den Kosten eines Umzugs oder eines Verbleibens. Wenn allerdings von Berlin als der »natürlichen Hauptstadt der Deutschen« die Rede geht oder davon gar, daß jeder Deutsche »Anspruch darauf hat, zu sehen, wie sich jeder einzelne Abgeordnete in dieser Abstimmung entscheidet«, dann sieht Diekmann hierin schon nicht mehr den notwendigen Prozeß des dialektischen Abwägens, sondern ein Zurückziehen auf Drohverhalten und Druckausüben. Diekmann wirft den Politikern vor, beide Städte in dieser letztlich substantiellen Frage deutscher Politik sich selbst überlassen zu haben. »Meinungen« habe man die Menge hören können, wie zuletzt von Kanzler Kohl, mehr nicht. Und dabei wäre es doch so unendlich wichtig gewesen, dieser Debatte eine Richtung zu geben mit Überlegungen zur Entwicklung des vereinten deutschen Staatswesens in Europa. Einen Entwurf hätte er sich gewünscht, hinausgehend über deutsches Kleinkariertes. Stattdessen Larifari, stammtischmäßige Erörterungen, an Berlin und Bonn exekutierte Stellvertreterdebatten. Wolfgang Kirkamm (adn)