Ein fast imaginäres Haus

■ Das "Institut der Arabischen Welt" in Paris soll der Verständigung zwischen Orient und Okzident dienen. Eine Aufgabe, die nach dem Golfkrieg notwendiger denn je erscheint. Doch der futuristische Moloch...

Das „Institut der Arabischen Welt“ in Paris soll der Verständigung zwischen Orient und Okzident dienen. Eine Aufgabe, die nach dem Golfkrieg notwendiger denn je erscheint. Doch der futuristische Moloch behindert sich selbst.

MIRJAM SCHAUB berichtet über die Probleme dieser ehrgeizigen Bastion des kulturellen Austauschs.

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m Ufer der Seine steht ein hochversichertes Gebäude. Hier kreuzen sich der Boulevard St. Germain und die Brücke Henri IV., das „alte Paris“ ist in Wurfweite. 32 Meter ragt das Gebäude auf, legt 7.250 Quadratmeter der Sonne bloß. Die Südseite hat keine Fenster. Statt dessen verwehren Diaphragmen aus Leichtmetall, fotografischen Blenden gleich, den Blick ins Innere. Sie firmieren wie ihre Namensvettern aus der Verhütungsmedizin unter einer Nummer: SKF-CAXB-32 X-100. Diese Fassade ist die teuerste in Frankreich, von derselben Firma erbaut, die in Kairo und Paris die Metro auf dem Gewissen hat. Ein Computersystem reguliert über eine Fotozelle den Kontraktionsgrad und somit die Größe der Lichtflecken im Innern des Gebäudes. Hier wird der Körper des Besuchers, dessen Kopf sich von den Glas- und Aluminium-Reflexionen verwirrt, zur Kontrolle dezent von Elektronen durchschossen.

Dieser futuristische Hochsicherheitstrakt heißt „Institut du Monde Arabe“, kurz IMA. Er ist das einzige Kulturzentrum dieser Art in Europa. IMA integriert mehrere Museen, Konferenz- und Vortragsräume, Biblio- und Mediathek. IMA will die Öffnung der Arabischen Kultur in ihrer Vielfalt, ihrer Geschichte und ihrer Aktualität erreichen — mitten in Europa. Es ist ein Ort der Neugierde, der Sensibilisierung, des Wissens und des Streits. Eine ausgeklügelte Allround-Pädagogik soll den Austausch der beiden Kulturen elegant und leicht verwirklichen. Das „Institut der Arabischen Welt“ ist keine fundamentalistische Bastion des Islam auf französischem Boden — und dennoch ein Politikum.

Nach siebenjähriger Bauzeit hatte das ehrgeizige Projekt am 8.12.1987 schon 461 Millionen Francs (153 Millionen DM) verschlungen. Skeptiker dieser dritten Verewigungsaktion von Fran¿ois Mitterand — nach der Opera Bastille und des Arc de la Défense — sahen mit dem Golfkrieg das Ende des Kulturzentrums gekommen. Die Probleme des Instituts waren offensichtlich: es fehlte mal wieder das Geld. Während des Krieges entließ IMA 40 Angestellte. Die übrigen 140 traten in einen Streik, der über zwei Wochen dauerte und nichts bewirkte. Die Pressesprecherin Sylvie Laurens sagt verlegen: „Die Ausstellungen zeitgenössischer arabischer Kunst oder auch die Bibliothek mit ihren 45 Millionen Bänden sind höchstens ein oder zwei Stunden geöffnet gewesen. Ich habe damals noch nicht bei IMA gearbeitet, aber ich weiß, daß sich die Angestellten wie in einem Faß ohne Boden fühlten, wie in einem schrecklichen Vakuum.“

Beim „Institut der Arabischen Welt“ liegt noch mehr im argen. Das Kolleg der arabischen Botschafter in Paris, das unter anderem „Den Hohen Rat“, die Legislative von IMA, bildet, ist heillos zerstritten. Deshalb ist seit September 1990 der Posten des satzungsgemäß arabischen Generaldirektors vakant. Das Institut muß sich Gedanken um seine Organisation machen, wenn es heute — in der Nachkriegszeit — wirklich eine Rolle spielen will. Mehr denn je herrscht Ratlosigkeit über die tatsächlichen Beziehungen von Europa zu Arabien. Hat im Golfkrieg die gerechtere, zivilisierte Weltordnung gewonnen? Sind die arabischen Nationen unfähig, friedlich zusammenzuleben? Kämpft hier das Christentum um seine Vorherrschaft gegenüber dem Islam? Nur einige von vielen Fragen, die eine Herausforderung auch an das IMA sind.

Thierry Fabre, der eloquente Berater des Präsidenten Edgard Pisani, sieht natürlich die Notwendigkeit, gerade jetzt zur besseren Verständigung zwischen der arabischen und europäischen Kultur beizutragen. Um Fehlurteile zu verhindern, müsse man die Eigenheiten, die Entwicklung der arabischen Kultur deutlich machen. Und eben das könne das IMA leisten. „Im Moment leiden wir jedoch an Strukturproblemen, die durch die Satzung selbst und das Paradox dieses Instituts, dieses Monsters, entstanden sind“, analysiert Fabre die unflexible Situation. IMA ist eine private Stiftung. Die Stifter sind Frankreich und neunzehn arabische Staaten. Gestiftet wird natürlich freiwillig, und deshalb hat IMA so wenig Geld. Ursprünglich war vorgesehen, daß Frankreich sich zu 60, die arabischen Staaten zu 40 Prozent an den laufenden Kosten beteiligen. Auch 1991 zahlt Frankreich seinen Anteil an den (geschätzten) 100 Millionen Francs im Jahr. Doch die arabischen Partner haben schon 1990 weniger als ein Viertel ihres Anteils überwiesen. Der gängige Verteilerschlüssel der Arabischen Liga, der die Länder nach ihren wirklichen Kapazitäten zu beteiligen sucht, scheint insbesondere für Saudi-Arabien ein Fremdwort zu sein. Die Saudis befinden, das „Institut der Arabischen Welt“ sei „zu wenig islamisch orientiert“, so Thierry Fabre. „Kurzum, wir müssen uns nach anderen Geldgebern umsehen. Einerseits könnten wir zwar unsere eigenen Einnahmen, die heute bei sieben Millionen Francs liegen, steigern; durch Wanderausstellungen oder einen eigenen Rundfunksender. Andererseits aber suchen wir europäische Partner oder Privatpersonen.“ IMA will sich — das gibt Fabre dezent, aber unmißverständlich zu verstehen — von zwischenstaatlichen Gremien wie dem „Hohen Rat“ (der Botschafter) nicht mehr gängeln lassen.

„Kulturschaffende“ sollen aus der Misere helfen. Vor einem Jahr haben Arabisten und andere Intellektuelle ein ominöses „Kulturelles Konsultativkomitee“ gegründet. Jacques Berque vom „Collège de France“, alteingesessener Koranübersetzer, ist sein erster Präsident, als Vize profiliert sich Saroite Okacha, der ägyptische Kulturminister unter Nasser. Dem Komitee traut IMA mehr Weitblick und vor allem Liebe für die Kultur zu. Es müssen dezidierte Entscheidungen über die Organisation von IMA fallen. Im Oktober 91 kann eine große Konferenz womöglich die Änderung des Gründungsstatuts beschließen.

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er über die lochkartengleichen Treppenböden höher in das Gebäude steigt, berauscht von den Glas- und Metallspiegelungen, sich an den in malerischem Arabisch beschriebenen Hinweisschildern ergötzt (und zur englischen Übersetzung schielt), ist schnell fasziniert. IMA ist ein ganz besonderes Institut. Die Ausstellungen geben vielen, auch unbekannten Künstlern Raum. Ein herrlich ovaler Saal auf der Nordseite des Gebäudes zeigt gerade „drei zeitgenössische Bildhauer“. Chaouki Choukini aus dem Libanon schnitzt und schneidet Chimären aus Ebenholz, phantastische Musikinstrumente, skurrile Planskizzen von Wäldern, Irrlichtern in aufgebrochen kubischen Formen. Oder Adam Henein: Seine Skulpturen bewahren die Zweidimensionalität, die einfache Würde der altägyptischen Tradition. In Ägypten baut Henein gerade an einem Nationaldenkmal, das den 1956 in der Suezkrise gestürzten, versteinerten Ferdinand Lesseps ersetzen wird.

Das Institut lebt von der Ausstellungsvielfalt. Es hat schon Graffiti von Palästinensern oder arabische Kalligraphien gezeigt. Ein Fotograf und ein Ethnologe bereiten gerade eine Dokumentation über Ägypten vor. Einfache Leute bemalen dort ihre Häuserfassaden mit spirituellen Bildern, Tiergestalten und Symbolen, während ein Familienmitglied die Pilgerreise nach Mekka antritt.

Oder aber der IMA-Besucher verkriecht sich, vom Sehen ermüdet, in einen der üppigen Kunstledersessel des großen Auditoriums im Keller und hört sich — zu gespenstig blauem Neonlicht — vom Philosophen Michel Serres Neuigkeiten aus der Welt der konvertierten Linkshänder, Hermaphroditen und Bisexuellen an; zumal Serres eigentlich angetreten war, eine Lobrede auf kulturelle Mischlinge zu halten. Die 300 Zuschauer schmunzeln oder schmeicheln. IMA hat zwar einen Lehrstuhl für Arabische Geschichte, Soziologie und Kultur, aber es soll kein elitäres Forschungszentrum werden, sondern offen für eine breite Öffentlichkeit bleiben, und so erklärt sich auch der illustre Serres.

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as „Institut der Arabischen Welt“ bleibt ein Paradox. Der Zuschauer bleibt perplex. IMA verstrickt ihn in die Geometrie, die Lichtspiele, den Unglauben, hier Arabien zu finden. Die Struktur der Diaphragmen verklärt sich zu orientalischen Halbmonden, die auf den Moscheen blitzen. Der marmorne Bücherturm, der sich an der Ostseite in Glasquadern emporschraubt und den Benutzer zwingt, die Buchtitel im Winkel von 30 Grad zu lesen, stört das Gleichgewicht. Es sind nicht die ungezählten Dia-Reihen, Tonbänder und Videokassetten allein, die dieses Museum zu einem „imaginären“ machen. Hier wird nicht einfach arabische Kultur abgebildet. Eine „noch nicht wirkliche“, eine „schon nicht mehr unwirkliche“ Kultur wird hier entworfen, im Schnittpunkt von futuristischer Architektur, arabischer Kultur und moderner Pädagogik. Michel Serres hat sein letztes Werk Le tiers-instruit genannt, das, was zwischen A und Non-A liegen könnte. Zwischen „Neue Weltordnung“ und „Keine Weltordnung“, das ist ein weites Feld.