KOMMENTARE
: Schein und Sein

■ Helmut Kohls neues Selbstbewußtsein stzeht für inhaltsleeres Beharren

Vordergründig scheint es so, als habe Helmut Kohl gewonnen: Vor wenigen Tagen der Triumph in Irsee, gestern ein einigermaßen friedlicher Tag in der Krisenregion Bitterfeld. Doch der Schein trügt: Die persönlichen Triumphe des Helmut Kohl, die Stabilisierung seines mittlerweile hilflosen und inhaltsleeren Pragmatismus, sind Niederlagen für die CDU. Das leise Rascheln, mit dem die parteiinternen Reformer nach der Niederlage in Rheinland-Pfalz für eine personelle und programmatische Erneuerung der CDU warben, ist schon nach wenigen Tagen verstummt. Kohl bürgt weiterhin für die zweifelhafte Tugend des Aussitzens. Unverhohlen spekuliert er auf den zur nächsten Bundestagswahl bestellten „Aufschwung '93“. Er rechtfertigt diesen Glauben mit eher fragwürdigen Hinweisen auf die Frühgeschichte der Bundesrepublik und die angebliche Gesetzmäßigkeit von Währungsreform, Arbeitslosigkeit und anschließendem Wirtschaftswunder.

Erinnern wir uns: Ausgerechnet der spätere Wiedervereinigungskanzler beging im September des Jahres 1989 einen entscheidenden strategischen Fehler. Damals jagte er seinen kritisch-produktiven Widerpart, den Generalsekretär Heiner Geißler und dessen Zuarbeiter, in die Wüste. Kohl verpflichtete die Partei damals zur Akklamation der Regierungspolitik, machte sie zu einem Verein von Hofschranzen. Das ganze Manöver erklärt sich aus dem leichtfertigen Kalkül, daß die alte saturierte Bundesrepublik weiter so vor sich hindümpeln werde. Kohl setzte auf geschickte und durchaus integre Verwalter vom Schlage Schäuble oder Seiters, auf ausgefuchste Pragmatiker der Macht, wie Volker Rühe — nicht aber auf Politiker, die in neuen Situationen mit neuen Ideen reagieren. Die notorischen Gegensätze zwischen Wirschaft und Ökologie, zwischen Sozial- und Wirtschaftspolitik würden sich, so hat Kohl damals noch spekuliert, mit Hilfe eines ständigen Wachstums und ohne große Anstrengungen quasi von selbst ausgleichen lassen. Die (Personal-)Politik, die Helmut Kohl der CDU 1989 aufzwang, straft seine spätere Behauptung Lügen, gerade er habe immer und fest an die Wiedervereinigung geglaubt.

Die neue Selbstsicherheit des Bundeskanzlers garantiert, daß weiterhin auf der Stelle getreten wird. Unter bestimmten Umständen ist die Festschreibung des Status quo eben keine pure Fortschreibung des Alten, sondern eine Verschlechterung — die Folgen wird leider nicht nur die CDU zu tragen haben. Götz Aly