Akt mit schöner Hülle

■ Der zweite Tag in Cannes: „Lune froide“ — ein sehr französischer Film

Lune froide heißt der Film. Heißen so nicht alle französischen Filme der letzten Jahre? „Kalter Mond“ — ein banaler Titel. Aber Lune froid wird bei der französischen Zuschauerschaft und Kritik für Exaltationen sorgen. Es ist ein Film nach ihrem Geschmack.

Deprimierend. Seit Jahren schon ist das französische Kino einer seltsamen Perversion erlegen: der Ästhetisierung des Nichts. Das beste Beispiel dafür war Luc Bessons Le grand bleu, der von nichts als der Meerestiefe handelte und überall floppte. Nur in Frankreich war er der größte Hit aller Zeiten. Angefangen hat die Zeit des großen Nichts viel früher, mit Diva. Seit die große Ära der Nouvelle Vague vorüber ist, seit Truffauts Tod vielleicht, aber auch seit dem Ende der typischen französischen B-Pictures der siebziger Jahre — der Politthriller von Yves Boisset, der Krimis mit Romy Schneider und Dreiecksgeschichten mit Michel Piccoli — scheint das französische Kino alle deutschen Klischees bestätigen zu wollen, die es je über Frankreich gab: Form ohne Inhalt, Oberflächenschönheit. Nicht daß es nicht auch noch anderes gäbe, aber es herrscht ein Kino der leeren, schönen Bilder. Attrappen. Flacons ohne Parfum. So gesehen steht das Ende von Lune froide — der Akt mit der schönen Hülle — wirklich symbolisch für die ganze Tendenz.

Nur um dieses Ende — eine Rückblende auf das einzige große Erlebnis im Leben von Dédé und Simon — geht es in Lune froid“. Vorher zerfällt der Film in ziellos wirkende Episoden. Patrick Bouchitey, der Mitautor und Regisseur, spielt den Dédé, Jean Francois Stèvenin spielt Simon. Ein Film nach Charles Bukowski, produziert von Luc Besson. Zwei Randfiguren in einer namenlosen Großstadt am Atlantik, Kinder um vierzig, Gammler, die sich von Verwandten aushalten lassen, in schmutzigen Wohnungen Jimmi Hendrix hören, Fliegen Flügel ausreißen, sich in Kirchen einschließen lassen und den Meßwein aussaufen. So delektiert sich der Film in aneinandergereihten Sketchen an ihrer pseudosubversiven Kaputtheit. Ab und an aber starrt der eine ins Feuer, der andere ins Wasser — und Erinnerungen steigen hoch. Einmal nämlich haben die beiden eine Leiche aus dem Schauhaus geklaut, haben sie aus dem Laken gewickelt, und es war — als hätten sie sechs Richtige gezogen — die Leiche eines wunderschönen jungen Mädchens. Beide schliefen mit ihr und übergaben sie dann feierlicherweise dem Atlantik.

Aber schön muß so eine Mädchenleiche schon sein. Häßlichkeit ist in solchen Filmen nicht zugelassen. Auch bei Dédé und Simon nicht. Gerade die Gosse muß werbefilmhaft stilisiert werden. Dédé und Simon torkeln, aber sie torkeln durchs perfekteste Schwarzweiß und die gesuchtesten Perspektiven; noch die kleinste Schweißperle ist bei ihrem Akt geschmackssicher appliziert, noch die wirrste Haarsträhne mit leichter Hand gelegt. Thierry Chervel