Himmlischer Hüftumfang

■ Tankred Dorsts »Korbes« vom Theater Basel beim Theatertreffen

Da seien ihm so Sätze eingefallen wie »Du hast zwaa linke Händ, die stehn nach hinten« oder auch »Gell, du willst mei Nächste wern«. Um diesen Sätzen zu ihrer entsprechenden Tragweite zu verhelfen, legt sie der Stückeschreiber Tankred Dorst einem Mann namens Korbes in den Mund. Damit sie noch weiter getragen werden können, baut er weitere Sätze drum rum, baut noch ein paar Personen dazu, zum Beispiel die »Nächste«, gibt dem Korbes eine Tochter und eine sterbende Frau. Korbes, so will es der Autor, ist das reine unpsychologische Böse, eine Märchenfigur, die dennoch fränkisch spricht. Weil er die Welt mit rein fränkischem Haß angeht, will sie ihm auch nur böse, Dorst nennt das Ganze eine Komödie— Regisseur Harald Clemen führt es mit dem Theater Basel im Deutschen Theater auf. Harald Clemen seinerseits hat mit Zugaben nicht gespart: Er stellt das Stück, das sich ein solches nennt, auf eine gewölbte Bühne, eine Art Welthalbkugel, legt eine Mauer drum rum. An diese lehnt er einen Schrank in einer gewissen Schräge: Expressionistisch und zugleich brueghelhaft sieht das Bühnenbild aus.

Mit den wenigen anderen, eher derben Requisiten wird unter blauem Licht eine Art barocke Hölle erstellt. Aus der Hölle führt eine Leiter zum Rand der Mauer, über der singende Wesen stehen, Engel oder andere Überirdische, jedenfalls singen sie schön. Sie singen das Brockes-Passionsoratorium von Händel, sie singen hochdeutsch, da sie im Himmel sind.

Korbes ist die Sorte Teufel, dem seine Großmutter die goldenen Haare schon ausgerissen hat — er ist in seiner reinen Verstocktheit auch eine Beckettsche Existentialfigur. Noch während seine Frau ohne seine Anteilnahme dahinstirbt, fickt er die Nächste im Schrank, von seiner Trambahnfahrerinnen-Tochter will er nichts wissen, dann wird er blind, und auch dann geht ihm nichts auf. Er schlägt um sich, wenn er Personen in seiner Wohnung vermutet — kann sich nicht wehren gegen Elvira, die Nächste, die ihm jetzt systematisch alles aus seiner Wohnung klaut. Hilflos sitzt er bald in seiner eigenen Jauche, findet mit dem Strick um den Hals nicht den Haken, der ihn hinaushöbe aus dem Eigengestank.

Da kommt seine Tochter zurück, halb, um sich an ihm zu rächen, bindet ihn an den Stuhl und klebt doch selbst an ihrem Vater fest. Sie verläßt ihren Mann, das gemeinsame Schlafzimmer und ihre Trambahn, läßt sich von ihrem Vater befingern, schlägt ihn dafür, verharrt wie der Alte im Nichtstun, »hier sitz' ich, also bin ich«, mit diesem ins Fränkische gewendeten Cartesianismus ist das Stück wieder aus.

Damit die Folge der »kurzen, harten Szenen« einen Theaterabend abgibt, müssen die Himmlischen zu Cembalo- und Cellobegleitung ziemlich häufig ihre liturgischen Meditationen über den »für die Sünden der Welt gemarterten und sterbenden Jesus« einbringen, das Parallelgeschehen wird darüber hinaus durch eine nur Böses herbeiwünschende Kinderschar verknüpft.

Das Spiel vom bösen Korbes, eine komödiantische Unterhaltung ist es nicht; eher ein bemühter Versuch um Fülle, wie auch die diversen weiblichen Akteure zeigen, die nur ihren Brust- und Hüftumfang einzubringen haben. Himmel und Hölle waren zu wenig durchwachsen, nur Korbes hatte eine Dornenkrone aus Würsten auf. Michaela Ott