Tütendrama in Pastell

■ Ferdinand Bruckners »Krankheit der Jugend« im Ensemble-Theater

Die Seele ist eine papierne Tüte, wenn man Atem hineinfüllt, knallt's. Innen eierschalenweiß, mit fleckigen Stellen, sieht sie am Boden braun und verschimmelt aus. In dieser gebrauchten Mehrwegtüte steckt eine kranke Jugend, die allerhand Gebläse macht — die Tütenwände sind gespannt, leicht nach außen gebogen, der Boden indes reißt nicht durch.

Diese Tüte ist die Bühne des Ensemble-Theaters, auf der Ferdinand Bruckners Krankheit der Jugend von 1926 unter der Regie von Thomas Hollaender aufgeführt wird. In zeitgemäßer Freyerscher Manier hat sie zwei Türen auf ungleicher Höhe, durch die abwechselnd viel zartfarbig getöntes Licht einfällt. Die Seelenabstimmungen der vier weiblichen und drei männlichen Protagonisten sind ebenfalls in Pastelltönen gehalten, Kleider und Charaktere gehen nie über die Grenze des Altrosa hinaus. Eine gewisse Morbidität bleibt hier bei sich. Bruckners Stück, das die Verliebtheit des Menschen in Schmerz und Krankheit als These setzt, gefällt sich in der Demonstration der einfachen Qual. Dabei hebt das Geschehen mit einem ambitionierten Personenfächer an: der Lebedame, der verbiesterten Wissenschaftlerin, der realitätsnahen Doktorin, dem Zimmermädchen, dem weinerlichen Schreiberling, dem Sexprotz und dem Kameradenfreund: diese gut katalogisierte Jahrhundertwendepsyche wird jedoch in der Folge nicht durch Ereignis und Sturm geführt. Mit den Instrumenten der einfachen Qual wird hier und dort ein wenig Verzweiflung und Überdruß gelüftet, tut sich hier und da eben der Schimmel auf. Prüfungen, von denen viel geredet wird, sind nicht zu bestehen; alles, woran man sich messen kann, hat die Konsistenz eines Daunenplumeaus. Daß sich die Lebedame am Schluß umbringt, hat nichts mit Verzweiflung, nur mit der Endlichkeit der Reizsituation zu tun.

Die Schwäche des Stücks, trotz aller Beredtheit nicht über die Behauptung des Schmerzes hinauszukommen, fällt auch auf die Inszenierung zurück. Sie hebt lebhaft an, hat Tempo und Skurrilität, zeigt gut unterschiedene Situationen und plätschert nach dem dritten Akt in Betretenheit und Spannungslosigkeit aus.

Dabei beginnen die Schauspieler großartig, mit unstrapazierter Frechheit und natürlichem Jugendcharme. Desirée (Irmelin Beringer) spreizt pfiffig ihre Schenkel über den Türrahmen, schlenkert herausfordernd mit ihren Volants, flegelt echt ungeniert im Sofa und küßt Marie warmherzig lesbische Liebesgefühle herbei. Marie (Cay Helmich) kann das gewinnendste Lächeln der Welt selbst beim harten Mustangreiten halten und auch, wenn sie ihre Nebenbuhlerin skalpiert, unter Indianergeschrei, die Haare rund um den Sofafuß. Irene (Marina Behnke) treibt ihre eindimensionale Alte-Jungfer-Rolle auf allen vieren mit den sich über ihren Hintern teilenden Trenchcoatflügeln gut in die Groteske. Und Lucy (Katja Salm) fällt angenehm durch geschürzte Unmanieriertheit auf. Daneben können die ewig hin- und hergezogenen Männer selbstverständlich nur halbwegs bestehen: Das anfangs gut schleimige Spiel von Freder (Udo Rau) gefällt sich auf die Dauer im Stereotyp, Petrell (Falk Walter) kommt in seinen Ziehharmonikahosen mit zu groß geschneiderter Seele nicht recht vom Fleck, und Pedro Sobisch als Alt darf nicht viel mehr als einen Weihnachtsmann spielen — dennoch besticht die Inszenierung durch Ausgewogenheit und Klarheit in der Figuren- und Situationsgestaltung und bleibt, was den Einsatz gestischer und gestalterischer Mittel betrifft, dezent.

Das gefällige Bühnenbild in Tütenform erweist sich jedoch als Gefängnis. Die Herzchen pulsieren nicht weiter als bis zur schönen Bühnenbespannung, mit der behaupteten Liebe zum Schmerz wird innerhalb der Dünnwandigkeit nicht experimentiert. Die Krankheit wird vernommen und weitergemeldet — sollte das vielleicht schon die Krankheit sein? Michaela Ott

Krankheit der Jugend , Do.-Mo., 20.30 Uhr im Ensemble-Theater, Hasenheide 54.