Das Kreuz des Dom-Erbauers Boigny

■ An der Elfenbeinküste drückt die IvorerInnen eine korrupte Mißwirtschaft/ Der legendäre Staatspräsident Houphouet-Boigny versteht es bisher geschickt, die jungen Oppositionsparteien des „multipartisme“ auszutricksen/ VON FRIEDERIKE PENTZLIN

„Ivorerinnen, meine Schwestern, meine Brüder, vor allem, laßt uns einig bleiben — Félix Houphouet- Boigny.“ Immer noch leitet diese Ansage mit dem Zitat des Präsidenten die abendlichen Nachrichten des Staatsfernsehens ein. In der Côte d'Ivoire herrscht Ruhe — nervöse Ruhe. Was andere Staaten noch vor sich haben als Geburtswehen der Einführung eines Mehrparteiensystems, des „multipartisme“ — allgegenwärtige Zauberformel im frankophonen Afrika — noch vor sich haben, das haben die IvorerInnen bereits hinter sich: das Mehrparteiensystem wurde eingeführt, nachdem es von Februar bis April 1990 schwere Unruhen gegeben hatte. Die Opposition ist nach verlorenen Präsidentschafts-, Volksversammlungs- und Kommunalwahlen jedoch auch heute noch — Opposition. Äußerlich betrachtet kein Sieg...

„Wenn der Hund bellt, weißt du, daß er in Schwierigkeiten steckt, wenn der Fisch aus dem Wasser springt, weißt, unten ist's ihm heiß. Ohh, dein Arsch ist draußen, heute, wird abgerechnet.“ Jedes Land ist ein Sonderfall. Für die Côte d'Ivoire ist schon dieses Lied des jungen Reggaesängers Serges Kassy eine Ungeheuerlichkeit. Zwei Jahre wurde im Brodeltopf Treichville, einem populären Viertel der Hauptstadt Abidschan, gespielt, dann geriet dieser Song 1990 zum Volkshit und der bis dahin kaum bekannte Serges Kassy zum Star. Ob der nun tatsächlich den „Arsch“ des Präsidenten „draußen“ sah, oder ob er es ganz allgemein gemeint hat, wie er anläßlich einer Hausdurchsuchung betonte, spielt keine Rolle mehr. Vierzig Jahre lang haben die IvorerInnen es ihrem Präsidenten, dem Vater der Nation, dem antikolonialen Freiheitskämpfer und Gewerkschaftsführer, ihrem Befreier von der Zwangsarbeit, abgenommen, daß er sich ohne sein Volk wie ein Fisch aus dem Wasser fühle, daß der „Alte“ allein die Côte d'Ivoire durch Kaffee- und Kakaoanbau zu Reichtum brachte — Mythos Houphouet.

Tatsächlich ringt das komplex gesponnene Staatswesen des 84jährigen Präsidenten auch KritikerInnen Bewunderung ab: Die kompliziert Verwobenheit von Korruption mit einem der besten Straßennetze Afrikas; das Erziehungssystem der allmächtigen inneren Führungsclique der „Barone“, welches bis 1980 französische Standards erreichte; Houphouets schier unglaubliche Summen auf Schweizer Bankkonten und seine Fähigkeit, jahrzehntelang Oppositionelle immer wieder in das Beziehungsgeflecht integrieren zu können. Houphouet hat sich nicht an die Regierung geputscht, er wurde bereits zu Kolonialzeiten gewählt und seitdem ehrfurchtsvoll respektiert. Er hat wirtschaftlich und politisch voll auf die Abhängigkeit von Frankreich gesetzt, aber von den enormen Geldsummen, die aus dem Land geschafft wurden, immer noch soviel abgezweigt und kunstvoll verteilt, daß die Dankbarkeit seiner Untertanen keine Kratzer erhielt.

Der falsche Schöpfer des „multipartisme“

1980 stockte das „Wunder Elfenbeinküste“. Seit diesem Jahr sind bei steigender Inflation die Löhne eingefroren und die Ankaufpreise für Kaffee und Kakao gesunken. Die in den achtziger Jahren aufgenommenen Kredite entsprechen in etwa dem Auslandsvermögen Houphouets und seiner priveligierten Getreuen. Anfang 1990 der Höhepunkt: Der Internationale Währungsfonds (IWF) knüpfte die angesichts gähnend leerer Staatskassen dringend notwendige Frischgeldzufuhr an eine vorherige Rückzahlung von 750 Millionen D-Mark Schulden.

Wochenlang konnten die Beamtengehälter ohnehin nur noch mittels gymnastischer Verrenkungen der Regierung gezahlt werden. Als Lösung verordnete die Regierung dem Volk, das gerade den päpstlichen Segen für den 500 Millionen D-Mark schweren Nachbau des Petersdoms im Landesinneren erhalten hatte, eine 40prozentige Lohnkürzung. Das Volk wiederum verstand nicht, warum die „Barone“, denen die Bezahlung ein leichtes gewesen wäre, bei dieser Operation unbehelligt bleiben sollten. Mit als die ersten der schwarzafrikanischen Perestroikawelle gingen damals die IvorerInnen, die eigentlich „allergisch gegen Gewalt“ sind — so das Zitat eines ivorischen Arbeiters — auf die Straße. Flugblätter mit Kontoauszügen von dem jetzt als „Dieb“ beschimpften Houphouet und eine Liste mit 437 Milliardären (gerechnet in Landeswährung) zirkulierten. „Nieder mit Houphouet“ tönte es und immer wieder: „multipartisme“, dem Wort, das inzwischen zum Synonym für Antikorruption, Transparenz und Gerechtigkeit geworden war.

Sogar das Militär rückte aus und umstellte die Residenz des Präsidenten. Bürgerkrieg lag in der Luft. Die jungen Soldaten verlangten jedoch nur mehr Geld und kehrten — zur großen Erheiterung der Auslandspresse — friedlich in ihre Kasernen zurück. Auch Houphouet gab nach. Die Lohnkürzung wurde zurückgenommen, das Mehrparteiensystem eingeführt. Am Ende stand Houphouet als Schöpfer des „multipartisme“ dar.

Im August 1990 fanden die Oppostitionellen mit ihren Forderungen nach Einberufung einer Nationalkonferenz und einer neutralen Übergangsregierung kein Gehör mehr. Ein Chef tritt eben nicht ab und ein Chef diskutiert am runden Tisch — womöglich noch mit Direktübertragung im Staatsfernsehen und Staatsradio — weder seine Kontenlage noch etwaige Verfehlungen. Ein Chef meidet lieber die Gefahr, daß bei diesem nationalen psychologischen Reinigungsprozeß der Nation auch das letzte Bißchen Mythos rausgewaschen wird. Und doch, auch ohne Nationalkonferenz ist der Mythos Houphouet nachhaltig beschädigt. Die Opposition liegt richtig, wenn sie auf ihren Veranstaltungen die Kassette von Serges Kassy einlegt: „Das ist nicht weiter schwierig — dein Arsch ist draußen.“

Die Abrechnung jedoch steht immer noch aus. Zwar veröffentlichen die wöchentlich neu entstehenden Zeitungen die ihnen zugespielten Kontoauszüge mit den nicht bezahlten Elektrizitätsrechnungen der Minister, doch noch führt die zu keinen Konsequenzen. Das Bewußtsein der BäuerInnen, von ihrer Regierung jahrelang über die Erträge aus dem Kaffee- und Kakaoanbau belogen worden zu sein, dringt jedoch weiter vor. Täglich speist die Opposition diesen Abnabelungsprozeß mit neuen Analysen und Informationen. ArbeiterInnen verlassen die Einheitsgewerkschaft oder verweigern die Zwangsbeiträge, nehmen von den MitarbeiterInnen des neuen autonomen Gewerkschaftsbundes „Würde“ erst erstaunt, dann immer ärgerlicher zur Kenntnis, daß sie Rechte haben, daß es internatinale Konventionen gibt, daß nicht alles nur Geschenke ihres Präsidenten sind. Die vielbeschworene Einigkeit wird brüchig.

Opposition im Schatten des Übervaters

Bei den 26 Oppositionsparteien trennt sich die Spreu vom Weizen, drei haben eine gute Chance, zu überleben. Die größte, die „Ivorische Volksfront“, die ihren Namen inzwischen als etwas altmodisch entschuldigt, bildet Sektionen bis weit in die Dörfer hinein und redet mit den Dorfchefs. Zu Wahlkampfzeiten war versucht worden, die Opposition als ethnisch begründet hinzustellen. Der „Meister des ivorischen Reggae“, Altstar Alpha Blondy, sang damals zum Erstaunen vieler auf der Seite des Präsidenten vom „SOS Stammeskampf“. Inzwischen bekennt Alpha mit einer für uns schwer nachzuvollziehenden Logik: „Ich bin Houphouetist und für die Opposition.“ Für den Vorsitzenden der „Ivorischen Volksfront“, Laurent Gbagbo, gilt es jetzt, sich bekanntzumachen, Vertrauen zu gewinnen, Integrationsfähigkeit zu vermitteln. Denn Wahlfälschung hin, Wahlfälschung her, bei der Präsidentschaftswahl bekamen die IvorerInnen im letzten Moment kalte Füße, ihre Standardfrage: „Hat denn schon jemand Gbagbo ein Land leiten gesehen oder auch nur ein Unternehmen?“ Viele waren für die Opposition, die Vorstellung einer Côte d'Ivoire ganz ohne Houphouet aber war den meisten im letzten Moment doch zu unheimlich.

Heute, sieben Monate später, hat das Erscheinen von Oppositionszeitungen, die von dreißig Jahre angestautem Mitteilungsdruck nur so bersten, erstens die Oppositionsgesichter vertrauter gemacht und zweitens den respektlosen Umgang mit eben noch unantastbaren Autoritäten seine schockierende Wirkung genommen. Die Opposition setzt auf die nächsten Wahlen und auf Zeit, denn die arbeitet für sie. Weit über die Hälfte der Bevölkerung ist unter dreißig. Bei den Jungen zieht auch die Berufung auf die Befreiung von der Zwangsarbeit nicht mehr. In den Abidjaner Kleinfamilien fehlen die Großmütter und Großväter, die den Nachwuchs mit Respekt vor dem Alter und entsprechenden Hierarchien imprägnieren. Hier entseht ein neues Werte- und Bezugssystem, das auch auf de Alten zurückwirkt. Angesichts des lächerlichen Ankaufspreises von 9 bis 35 Pfennigen für ein Kilogramm (!) Kaffee hören die Eltern jetzt ihren Kindern aus der Stadt zu, wenn diese davon erzählen, daß die maßlose Bereicherung der Barone und des Präsidenten nicht mehr einfach nur hinzunehmen sei. Und außerdem — dem mindestens 84jährige Präsident Felix Houphouet- Boigny ist vielleicht doch nicht unsterblich...

Der Beitrag Frankreichs und der Weltbank zum Demokratisierungsprozeß ist nicht unbeachtlich. Denn, ohne deren jahrelange Unterstützung hätten Afrikas Despoten gar keine Chance gehabt, sich so lange an der Macht zu halten. Jetzt sind in Afrika die Böden ausgelaugt, die Rohstoffe bringen nicht mehr viel ein; afrikanische Staaten als politisches Faustpfand im Ost-West-Konflikt sind historisch obsolet. In vier frankophonen Ländern sitzen dank nördlicher Intervention ehemalige Weltbankmitarbeiter oder andere Bankiers in Schlüsselpositionen. Côte d'Ivoire ist eines davon. Noch während der Unruhen wurde der Gouverneur der Westafrikanischen Zentralbank und ehemalige Weltbank-Mitarbeiter Alassane Quattara zum Vorsitzenden eines frisch eingesetzten „Interministeriellen Komitees zur Ausarbeitung und Durchführung eines Strukturanpassungsvorhabens“ berufen. In den westlichen Botschaften ist man voll des Lobes über Alassane, der in seinem „Plan Quattara“ so erfindungsreich Gebühren einzuführen und so durchschlagend Stellen zu kürzen wußte. Die Rückzahlungen fließen schon. Da ist es gar nicht mehr notwendig, auf Transparenz, Effizienz und Antikorruption auch im Umgang mit den Baronen zu bestehen. Ein Wechsel der Gesichter an der Spitze der Zollverwaltung und einigen (halb)staatlichen Unternehmen reicht voll aus, den Schein zu wahren. Wenn die Côte d'Ivoire doch nur mehr Männer vom Schlage Quattaras hätte...

Gestern Bürokraft, heute Bananenverkäuferin

Weniger betroffen sind die Mercedes-fahrenden Weißen davon, daß das staatliche Transportunternehmen kaum noch die Benzinrechnungen für den Einsatz der städtischen Busse bezahlen, geschweige denn neue Busse dazukaufen kann. Riesige Umwege in vollgequetschten Bussen müssen die AbidjanerInnen deshalb in Kauf nehmen, weil weder das Streckennetz ausgedehnt wird noch genügend Busse eingesetzt werden können. An Ersatzteilen wird gespart. Busunfälle mit tödlichem Ausgang nehmen zu. Auch die Frau, die gestern noch im Büro gearbeitet hat und heute am Straßenrand gegrillte Bananen verkauft, hat gar nichts von der vielgelobten Effizienz Quattaras.

Alassane Quattara ist Bankier. Er hat eine präzise Aufgabe zu erfüllen, nämlich die, den Staatshaushalt zu sanieren und die Wirtschaft anzukurbeln. Danach wird er wieder gehen. Politische Ambitionen sind bei ihm noch nicht erkennbar. Er ist ein fähiger Manager und daraus ist ihm schwerlich ein Vorwurf zu machen. Bezeichnend ist es allerdings, daß der Norden auf Bankiers in Schlüsselpositionen besteht. Das das Wort „Bauer“ im Plan Quattara nicht einmal vorkommt, wie eine Oppositionszeitung bemerkte, ist dann auch kaum verwunderlich. Denn es geht dem Norden ja nicht um einen Wirtschaftsaufbau, der den IvorerInnen Wege aus ihrer ungesunden Exportabhängigkeit weist, es geht ja ausschließlich darum, Devisen zur Schuldenbedienung zu beschaffen.

Da ist es dann doch auch kein Wunder, daß Herrn Quattara, der inzwischen unter der Fuchtel des Präsidenten als Premierminister agiert, außer der „totalen Qualität“ — einem Begriff, den die Franzosen als anzustrebende Eigenschaft für ihre Produkte zur Abwehr japanischer Konkurrenz erfunden haben — zur Wirtschaftsankurbelung wenig einfällt. Soviel Export wird aus der Côte d'Ivoire noch rauszuquetschen sein, daß die Zinsen bedient werden können. Der IWF-Chef Camdessus, Franzose und Bankier, hat die Richtung schon vorgegeben: Es wäre jetzt endlich an der Zeit, daß Afrika sich auf seine eigenen Kräfte besänne...

In den staatlichen Medien werden immer wieder die ungerechten Weltmarktpreise für Kaffee und Kakao als Grund für die Krise angeführt. Die freien Medien betonen, indem sie sich auf die Korruptheit von Houphouet und seiner Landlords einschießen, lieber die internen Ursachen. Noch profitiert die Opposition davon, daß es bei der Weltbank gerade Mode ist, demokratische Strukturen einzufordern, ja, es sogar eine Forderung der Opposition an den Norden, ihnen weitere rechtsstaatliche Freiräume dadurch zu sichern, daß die Vergabe von Krediten und Entwicklungshilfegeldern an Demokratisierungsauflagen geknüpft wird. Die Bevölkerung darüber aufzuklären, daß die Weltbank ganz entgegen dem vorherrschenden Verständnis des IvorerInnen nicht dazu da ist, Geschenke zu machen, übersteigt derzeit die Kräfte der Opposition. Die „Ivorische Volksfront“ muß sich im Land als Massenpartei verankern und hat noch viel Arbeit vor sich, bis sie über einen ähnlich weitverzweigten Apparat verfügen können wird wie der, der Houphouet mit seiner „Demokratischen Partei“ schon heute zur Verfügung steht. So werden sich IWF und Weltbank fürs erste weiter zum Schaden der IvorerInnen in die inneren Wirtschaftsangelegenheiten einmischen.