ZWISCHEN DEN RILLEN

■ Die Geschichte der Welt in 18 Songs

Ende der siebziger, Anfang der achtziger Jahre, in den Tagen des Postpunk und des aufkeimenden neuen Pop-Bewußtseins, versuchten die „Teardrop Explodes“ in Liverpool die Fusion von Pop, eckigem New Wave und aufdringlichen Orgelklängen, die eher an die „Doors“ erinnerten als an das, was derzeit in der britischen Popmusik en vogue war. Julian Cope, der Sänger der Gruppe, gestand offen seine Vorliebe für die amerikanischen „13th Floor Elevators“ (konsequenterweise trug er jüngst auch zum Tribute to-Album für Roky Erickson einen Song bei), für Jim Morrison und Scott Walker, den großen Vokalisten der sechziger Jahre. Man experimentierte mit allen verfügbaren Drogen und zeigte sich psychedelisch.

Die „Teardrop Explodes“ existierten einige Singles und zwei LPs lang, nach der Trennung machte Cope solo weiter, spielte obskuren, bizarren Pop und veröffentlichte die beiden Platten World Shut Your Mouth und Fried. Zeigte sich, mitunter noch abgedrehter, in der Rolle des Halluzinogenzerfressenen Drogie. Das Cover von Fried etwa war wohl eines der merkwürdigsten der Rockgeschichte: Ein struppiger, nackter junger Mann kauert auf dem Boden, bedeckt mit einem riesigen Schildkrötenpanzer. Zusätzlich lag der LP auch noch ein riesiges Poster bei, auf dem der „Schildkrötenmensch“ etwas verschüchtert im Wasser eines kleinen Sees stand. Strange.

Die Songs, teilweise folkinspiriert, mit Akustikgitarren verzierte kleine Popjuwelen, nannte er King of Chaos, Elegant Chaos oder Greatness And Perfection. Oder er verhöhnte in Bill Drummond Said den Pop-Propheten Drummond, was diesen dazu veranlaßte, etwas später mit dem Song Julian Cope is Dead (...„I shot him in his head“) dagegenzuhalten.

1987 schien Mr. Cope dann völlig übergeschnappt zu sein, nannte seine LP Saint Julian und posierte (das Haar nun kurz geschnitten) in Lederkluft und Kreuzigungspose auf einem Autofriedhof. Cope zeigte sich wilder und rockiger denn je und landete mit dem Ohrwurm World Shut Your Mouth einen kleinen Hit.

In diese Zeit fiel auch sein Konzert im Zürcher Kaufleutensaal, das, spärlich besucht, fast unter Ausschluß der Öffentlichkeit stattfand. Die wenigen Zuschauer erlebten allerdings einen intensiven, vom Geist des Rock beseelten Auftritt — einen der besten Gigs der achtziger Jahre. Wenige Tage vorher hatten sich in der Roten Fabrik bei der Hypeband „Jesus & The Mary Chain“ mehr als tausend Konzertlustige vor Langeweile gegenseitig auf die Füße getreten. Was den aseptischen Jesusen fehlte, das hatte unser Heiliger und seine blutjunge Band zur Genüge: Spielfreude, Witz, Lust und Leben. Da störte es auch nur wenig, daß Cope ein bißchen wie der kleine Bruder von Iggy Pop wirkte. Lieber mit dem verwandt als verschwistert mit George Romeros Zombies.

Nach einer rockigen LP und zwei sehr obskuren, feinen Platten, die seine Firma (Island) nicht herausbringen wollte und deshalb bei anderen Labels veröffentlicht wurden (Skellington und unter dem Pseudonym „Droolian“ das Album Free Roky Erickson), legt Julian Cope nun seine „Geschichte der Welt“ in Form eines Doppelalbums vor.

Er sei von harten Drogen geläutert, lebe gesund und liebe seine Frau; im Sommer 1990 habe er eine „Vision“ gehabt, ist im Innersleeve der LP zu lesen. Eine Vision von „Mother Earth“. Mutter Erde hört auf den Namen Peggy Suicide, und die sieht auf dem Cover (gemalt von Dorina Roche) alles andere als gesund aus: gezeichnet von Umweltzerstörung, Krieg, Ausbeutung von Natur und Mensch.

Interesse an politischen Themen ist bei ihm nicht neu; schon früher war Julian Cope mit vollmundigen Sprüchen zu hören gewesen. So diktierte er vor Jahren einmal einem Interviewer ins Mikro, man müsse schon ein „echter Wichser (wanker) sein, um die Konservativen zu wählen“.

Neu ist der fast schon religiöse Eifer, mit dem der inzwischen 34jährige auf Peggy Suicide die Schlechtigkeit der Welt besingt. Kaum ein Thema, zu dem er nichts zu sagen hätte — es scheint fast, als sei er bei Billy Bragg in die Lehre gegangen. In Double Vegetation geht es um die „weißen liberalen Intellektuellen“, die nun im Islam ein neues Feindbild gefunden haben. Promised Land ist ein Stück über die britische Gesellschaft, das den Thatcherismus nach Thatcher geißelt. East Easy Rider ist seine 90er- Variante des Hippietraums, auf dem Rücken einer schweren Maschine zu leben, sein Statement gegen den Autowahn mit all seinen Nebenwirkungen. Auf Soldier Blue verarbeitet er persönliche Erfahrungen und schildert das brutale Vorgehen der Polizei bei den Anti-Poll-Tax-Demos. Bei Not Raving But Drowning setzt er sich mit seiner Drogenabhängigkeit auseinander — in „Teardrops“-Zeiten sang er noch „Ha ha I'm drowning“, in Safer Surfer (welch Titel!) preist den „safer sex“, und Western Front 1992 C.E. ist ein zynischer Song über die Der-Regen-wird- schon-alles-wegwaschen-Mentalität der großen Konzerne.

Bei allem Eifer ist diese „Polit-Tour de force“ alles andere als eine dröge, verbiesterte Angelegenheit geworden. Daß Peggy Suicide kein langweiliges Liedermacher-Album geworden ist, dafür sorgen sein Humor und seine musikalischen Einfälle. Ob er sich nun in psychedelischen Reminiszenzen verliert, den Rocker rauskehrt, an Brit-Pop anlehnt, Ohrwürmer mit „Uh-lalala“- Chören spielt oder sich gar den Sound der „Raver“ zu eigen macht: Julian Cope bleibt auch in den neunziger Jahren ein seltsamer Heiliger.

Julian Cope: Peggy Suicide (BMG Ariola)

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