Tagtäglicher Knall

■ Die Überfälle von Skins und Rechtsradikalen in Ostdeutschland erfordern Krisenstäbe

Tagtäglicher Knall Die Überfälle von Skins und Rechtsradikalen in Ostdeutschland erfordern Krisenstäbe

Die warnenden Stimmen sind verstummt, das Gespenst, das viel beschworene, scheint noch einmal vorübergegangen zu sein. Mit dem Ende der gewerkschaftsorganisierten Leipziger Montagsdemonstrationen ist auch die Schreckensvision von den gewalttätigen Unruhen in Ostdeutschland gewichen. Der große soziale Knall ist ausgeblieben.

Tatsächlich jedoch findet die Explosion tagtäglich im kleinen statt, an vielen unvorhersehbaren Orten, schallgedämpft, unberechenbar und darum umso gewaltsamer. Kein Tag, an dem nicht irgendwo in einem der fünf neuen Bundesländer Hatz gemacht wird auf Menschen fremder Nationalität oder Hautfarbe. Die frühere DDR ist zu einem Territorium mit einem unsichtbaren Warnschild geworden: „Für Ausländer: Betreten auf eigene Gefahr!“. Wer sich dieses Risiko nicht aussuchen kann, weil er hier lebt und arbeitet oder als Asylsuchender dorthin zwangsverschickt wurde, tut gut daran, sich an die faktische abendliche Ausgangssperre zu halten — zum eigenen Schutz, denn auf fremden ist kein Verlaß.

Allein daß bestimmte Bevölkerungsgruppen um ihre körperliche Unversehrtheit und ihr Leben fürchten müssen, sollte verantwortliche Politiker alarmieren. Die Ausbrüche der Gewalt, die sich — derzeit noch — vordringlich gegen Ausländer richten, sind nur die Spitze eines Eisbergs. Und dessen Basis wird noch anwachsen, wenn im Herbst dieses Jahres jeder zweite ostdeutsche Jugendliche ohne Lehrstelle dasteht.

Sicher, Rechtsradikalismus und Gewalt unter Jugendlichen lassen sich weder mit Polizeistrategien noch allein mit einem Mehr an staatlichen Geldern und Arbeitsplätzen bekämpfen. Doch ausreichende finanzielle Mittel für Jugendklubs und Ausbildungsstellen wären Minminalvoraussetzungen, um diesem Problem überhaupt zu begegnen. Einfache Lösungen wird es gerade angesichts der speziellen Lage der ostdeutschen Jugendlichen nicht geben. Dazu ist das dumpfe Gemisch aus Orientierungslosigkeit, sozialer Verunsicherung, Rassismus und Glaubwürdigkeitsschwund einer ganzen Eltern- und Politikergeneration zu kompliziert zu analysieren. Doch in Bonner Regierungsetagen und auf Länderebene begibt man sich noch nicht einmal auf die Suche nach Lösungen. Dort hat man andere Sorgen: Was interessieren jugendpolitische Konzepte, Krisenstäbe, runde Tische, Expertenrunden oder konzertierte Aktionen gegen Rechtsradikalismus oder dumpfe Aggression, wo man doch den Autos auf ostdeutschen Straßen freie Fahrt garantieren muß. Vera Gaserow