Aus kurdischen Kämpfern wurden Händler

Kurdische Flüchtlinge von 1988, die nach dem Giftgasmassaker von Halabdscha flohen, eilt es nicht, in den Irak zurückzukehren/ Handel in Diyarbakir ist besser als Peschmerga-Leben/ Vor der Rückkehr will man einen Befehl von oben  ■ Aus Diyarbakir Antje Bauer

Dort, wo sich Pferdefuhrwerke, Laster und Autos durch das große Stadttor quetschen, direkt an der riesigen alten Stadtmauer von Diyarbakir, ist ihr Bereich. Unter Leinendächern sitzen sie dort dicht an dicht vor Klapptischen und preisen ihre Ware an: Billige Klamotten, Plastikgeschirr, Uhren, islamische Rosenkränze und Tigerbalsam liegen dort nebeneinander aufgereiht. Über allem liegt der langgezogene Gesang des hier hochverehrten kurdischen Sängers Schiwan.

Vor zwei Tagen ist die erste Musikkassette des Dichters ganz legal herausgekommen — die vor kurzem erfolgte Strafrechtsreform macht es möglich, daß zumindest die unpolitischen Lieder in kurdischer Sprache öffentlich gesungen und verkauft werden können — und nun klingt sein Gesang aus allen Ecken, gehört seine Kassette zum unverzichtbaren Bestandteil jedes Verkaufsstandes.

Sie tragen noch dieselbe braune Uniform, dasselbe schwarzweißkarierte Tuch um Hüften und Kopf wie vor drei Jahren, als sie nach dem Giftgasmassaker im irakischen Halabdscha hierher in die Türkei geflohen sind. Und doch hat sich für diese ersten kurdischen Flüchtlinge seither Grundsätzliches geändert. Mehr als 60.000 Kurden, großteils ehemalige Peschmerga mit ihren Familien, waren es, die damals über die Grenze flüchteten und hier in drei Lager aufgeteilt wurden. Heute sind immer noch 27.000 Flüchtlinge hier, von denen sich ein Teil inzwischen in Diyarbakir, der heimlichen Hauptstadt der türkischen Kurden, eingerichtet hat. Sie leben in Häusern außerhalb der Stadt, können das durch Stacheldraht eingezäunte Areal jedoch verlassen und in Diyarbakir Handel treiben. Die Bevölkerung der Stadt, großteils selbst Kurden, hat den Flüchtlingen in der Anfangszeit mit Spenden geholfen und unterstützt sie jetzt mit Krediten.

Während aus den neuen Flüchtlingslagern an der türkisch-irakischen Grenze inzwischen jeden Tag mehrere tausend Kurden in ihre Heimatorte im Irak zurückkehren, scheinen es die Kurden der ersten Flüchtlingswelle nicht sonderlich eilig zu haben. „Solange Saddam Hussein an der Regierung ist, gehe ich nicht zurück“, versichert Ahmad Ibn Omar, Oberhaupt einer elfköpfigen Familie. „Wir gehen erst dann zurück, wenn Barzani den Befehl gibt.“ Auch die Flüchtlinge in den Bergen, die in diesen Tagen zu Tausenden nach Hause zurückkehren, hören auf Barzani.

Doch die Leidensgenossen in Diyarbakir haben es nicht so eilig. Das meint auch der 23jährige Hashim Muhammad. In seiner Heimatstadt Zakho hatte er die Schule besucht, hier treibt er Kleinhandel. Zuerst versichert er, Barzani wolle seine Heimkehr nicht, dann ist es die türkische Regierung, die bislang keine Erlaubnis zur Rückkehr erteilt. „Wenn der Befehl nie kommt, dann werden wir immer hierbleiben“, versichert Hashim überzeugt.

Die türkischen Behörden streiten ab, der Rückkehr der Flüchtlinge Hindernisse in den Weg zu legen. „Die Regierung will natürlich, daß sie zurückgehen, auch weil sie finanziell eine große Belastung sind“, erklärt dazu Ferhat Ataman. „Allerdings muß man mit einbeziehen, daß ein Großteil dieser Leute Kämpfer waren, im Gegensatz zur Zivilbevölkerung, die jetzt geflüchtet ist. Über die Rückkehr dieser ersten Flüchtlinge muß zwischen Barzani, Talabani und Saddam Hussein gesondert verhandelt werden.“

400 Flüchtlinge sollen — nach Angaben auf dem Kleinmarkt — aus dem Camp bei Diyarbakir inzwischen heimlich in den Irak zurückgekehrt sein. Die anderen haben Diyarbakir mit ihren Ständen überzogen und fühlen sich langsam heimisch. Das harte Leben der Peschmerga in den Bergen ist weit weg. So hören sie Schiwan und träumen von zu Hause. Und bleiben einstweilen hier.