Abgabe statt Abgase

Die Planung der Nahverkehrsabgabe in Baden-Württemberg vollzieht sich schleppend/ Autolobby jault auf/ Parteien uneins  ■ Aus Stuttgart Erwin Single

Stuttgart zu Stoßzeiten: Kilometerlang stauen sich Blechlawinen auf den wenigen Ein- und Ausfallstraßen; täglich droht die südwestdeutsche Landeshauptstadt dem Verkehrskollaps zu erliegen, erstickt in Krach und Gestank. Trotz hinderlicher Kessellage ist die Neckarmetropole kein Einzelfall: In allen Ballungszentren endet die einst gelobte „Freie Fahrt für Freie Bürger“ aprupt in der Warteschlange oder im Gerangel um die spärlichen Parkplätze.

Das Problem ist seit Jahren bekannt — geändert hat sich nichts, ein Ende der allgemeinen Mobilmachung ist erst recht nicht in Sicht. Nun will die baden-württembergische Landesregierung im Kampf gegen die Verkehrskatastrophe in den Innenstädten neue Wege beschreiten: Unter dem Arbeitstitel „Nahverkehrsabgabe“ hat sie ein unter Verschluß gehaltenes Papier erarbeitet. Inhalt: Die AutofahrerInnen sollen in Regionen mit funktionierendem Nahverkehrssystemen, sprich öffentlichen Verkehrsmitteln, künftig zur Kasse gebeten werden. Nur so, glaubt der neue Verkehrsminister Thomas Schäuble — übrigens Bruder des Bundesinnenministers — könne ein Umsteigen auf Bus und Bahn erreicht werden.

Noch unter dem Kabinett Späth vor einem halben Jahr mit einem unverbindlichen Grundsatzbeschluß für gut befunden, soll das Vorhaben jetzt Form annehmen. Die Grundzüge des Konzepts: Die Nahverkehrsabgabe soll landesweit als Pauschale für AutohalterInnen durch die Kommunen erhoben werden. Die Höhe soll sich am Preis einer Jahresfahrkarte der regionalen Verkehrsverbände orientieren und bei deren Erwerb anrechenbar sein; mit den Einnahmen soll der öffentliche Personennahverkehr ausgebaut werden.

Der Münchner Staatsrechtler Klaus Vogel wurde beauftragt, zunächst zu prüfen, ob eine derartige Abgabe rechtlich möglich sei und keine unzulässige Doppelbesteuerung darstelle. Erst wenn das für Anfang Juni angekündigte Rechtsgutachten vorliege, hieß es im Ministerium, wolle man weitere Schritte angehen und Gespräche mit Kommunal- und Verkehrsverbänden führen. Für Stuttgart, wo die Jahreskarte für öffentliche Verkehrsmittel 650 D-Mark kostet, kursieren die ersten Zahlen: 500 D-Mark solle dort die Nahverkehrsabgabe betragen.

Doch kaum hatten die Promotoren die Ärmel hochgekrempelt, um den jahrelangen Tanz um das goldene Kalb „Privatauto“ zu beenden, regt sich auch schon Widerstand. „Eintrittsgelder für Autofahrer“ würden an den Stadtgrenzenerhoben und die AutobesitzerInnen zu „Melkkühen der Nation“ erklärt, posaunte die große GegnerInnenschar in populistischen Tönen. Der ADAC, wer sonst, lehnte die Pläne als „ungeeignetes Lenkungsmittel“ rundweg ab. Wer etwas verbessern wolle, so die Autolobbyisten, dürfe nicht ein gut funktionierendes Verkehrsmittel unattraktiv machen. Die Autoindustrie selbst übte sich in stiller Zurückhaltung.

Begrüßt wurde dagegen die Nahverkehrsabgabe von den Grünen und der FDP. Die Grünen legten gleich noch einen eigenen Gesetzentwurf vor, nach dem AutofahrerInnen in Städten mit über 100.000 EinwohnerInnen einen „roten Punkt“ erwerben müssen, mit dem sich auch öffentliche Verkehrsmittel benutzen können. Das wiederum lehnte die FDP als willkürlich ab. Derweil erteilten die Sozialdemokraten der Regierungskonzeption eine glatte Abfuhr: Sie verletze verkehrspolitische und ökologische Grundprinzipien, weil die Pkw-HalterInnen „unterschiedslos ohne Berücksichtigung des tatsächlichen Verkehrs- und Fahrverhaltens“ belastet würden und sei zudem für die Betroffenen in Ballungsgebieten „ungerecht“.

Auch in der CDU regte sich Unmut gegen die Ministeriumspläne. Fraktionschef Günther Oettinger betonte, eine Abgabe könne nur dort erhoben werden, wo bereits ein attraktives öffentliches Nahverkehrsangebot vorhanden sei, mittelalterliche Wegezollstellen werde es mit der Union nicht geben. Für Finanzminister Gerhard Mayer-Vorfelder, der in dem Konzept eine „Bestrafung der Großstadtbewohner“ sieht, steht eine Nahverkehrsabgabe frühestens in fünf bis sieben Jahren zur Debatte. Und auch Ministerpräsident Erwin Teufel, der die Einführung der Abgabe in seiner Regierungerklärung vor kurzen noch verkündet hat, ist bereits auf dem Rückzug: Ein einwandfreies, perfektes Nahverkehrssystem sei unbedingte Voraussetzung.

Das Tempo, mit dem hier Problemlösungen betrieben werden, ist, wie man sieht, durchaus dem auf Stuttgarts Straßen vergleichbar — zu Stoßzeiten, versteht sich.