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Anwälte fürchten um den Rechtsstaat

■ Kritik des Deutschen Anwaltstages am Gesetzentwurf der Länderjustizminister

Düsseldorf (ap) — Auf eine heiße Phase in der Rechtspolitik bereitet sich die deutsche Anwaltschaft vor. Nach ihrem 46. Anwaltstag, der am Wochenende in Düsseldorf zu Ende ging, will der Deutsche Anwaltverein (DAV) „einmütig und mit aller Kraft“ verhindern, daß es zu einem seiner Ansicht nach beispiellosen Abbau des Rechtsschutzes in der Bundesrepublik kommt. „Ohne daß man uns auch nur angehört hätte“, klagte der amtierende DAV-Präsident Erhard Senninger aus München vor mehr als 2.000 Kollegen, „soll unter dem Vorwand des Rechtspflegeaufbaus in Ostdeutschland ungeniert die Axt an die Wurzel des Rechtsstaates gelegt werden“.

Dabei sah es anfänglich noch danach aus, als würde es auf diesem ersten gesamtdeutschen Anwalttag seit 1929 besonders harmonisch und gesellig zugehen. Für Ärger sorgten Neuigkeiten aus Berlin. Gleichsam im Handumdrehen hatte die Justizministerkonferenz der Länder dort ein Paket von Maßnahmen zugunsten der fünf neuen Länder geschnürt, mit dem alle Möglichkeiten einer Vereinfachung und Straffung der Gerichtsverfahren ausgeschöpft werden sollen.

Nach den Plänen der Justizminister und -senatoren soll über ihren Gesetzentwurf, der insbesondere auf eine Verkürzung der Rechtswege in der Zivil-, Straf-, Sozial-, Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit im Westen hinausläuft, schon im nächsten Monat vom Bundesrat entschieden werden. Unmittelbar nach der Sommerpause wird sich dann der Bundestag mit dem befassen, was die Anwälte ironisch „Rechtsmittelverkürzungsgesetz“ nennen.

Aufgebracht von dem „Berliner Handstreich“ ließen die in Düsseldorf versammelten Juristen ihre sonst so vornehme und honorige Haltung fahren. Der Vorsitzende des Deutsche Richterbundes, Franz-Joseph Pelz, bezeichnete den Entwurf gar als eine „Nacht- und Nebelaktion“.

Schon in der Eröffnungsveranstaltung kam Unruhe auf, als sich Bundesjustizminister Klaus Kinkel zaghaft hinter das Projekt seiner Länderkollegen stellte. Und Nordrhein-Westfalens Justizminister Rolf Krumsiek mußte sogar gegen eine Woge aus Unmutskundgebungen ankämpfen. „Notzeiten erfordern eben besondere Maßnahmen“, sagte Kinkel, der die Anwälte vergeblich davon überzeugen wollte, daß hier der Rechtsstaat nicht aufs Spiel gesetzt werde.

Namhafte Spezialanwälte erläuterten auf einem eilends einberufenen Sonderforum anhand konkreter Beispiele, welcher Auswirkungen die geplanten Gesetzesänderungen für das Recht im Alltag des Bürgers haben werde. Senninger warnte vor einem „Volk von Vorbestraften“, sollten in Zukunft gegen Geldstrafen bis zu dreißig Tagessätzen keine Rechtsmittel mehr möglich sein. Auch im Zivilprozeß, wo die Berufungsmöglichkeiten ebenfalls drastisch beschränkt werden sollen, wird mehr als ein Drittel der erstinstanzlichen Entscheidungen später aufgehoben. „Wer das abwürgen will“, meinte Senninger, „nimmt Unrecht in Kauf.“

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