Das diplomatische Protokoll in persona

Franz Jahsnowski — zwischen Stechschritt und Bruderkuß: „Honeckers Zeremonienmeister“ im Zeitraffer, morgen im Dritten  ■ Von Wilfried Mommert

Ein 60jähriger Mann geht mit langsamen Schritten durch leere, kalten Glanz ausstrahlende Repräsentationsräume und erinnert sich an seinen langjährigen Arbeitsplatz. Es ist das einstige Staatsratsgebäude der DDR in Berlin, über dessen Portal aus dem alten Berliner Schloß inzwischen der Bundesadler weht. Die Ehrenformation, die auf dem Vorplatz mit ihrem Stechschritt beim Antrittsbesuch von Botschaftern oder zur Begrüßung von Staatsgästen paradierte, gehörte zu einem Teil der Arbeit von Franz Jahsnowski.

Er hat hier ebenso wie im Schloß Niederschönhausen in Pankow als der letzte Protokollchef der DDR jahrzehntelang Staatsgästen wie Fidel Castro, Indira Gandhi, Tito, Saddam Hussein und Nicolae Ceausescu den rechten Weg gewiesen. Seine Dienstherren waren die ostdeutschen Staatsoberhäupter Walter Ulbricht, Willi Stoph, Erich Honecker und — dann nur noch in galoppierenden Etappen — Egon Krenz, Manfred Gerlach und Sabine Bergmann-Pohl.

Defa-Regisseure und der SFB drehten sein Porträt

In einem Ecklokal gegenüber den Defa-Dokumentarfilmstudios in Babelsberg sitzt der Protokollchef a.D. vor einem Fernseher und schaut sich selbst mit unbewegtem Gesicht im Film zu, wie er westdeutsche Spitzenpolitiker ebenso wie Leonid Breschnew, Michail Gorbatschow, den libyschen Revolutionsführer Muammar el-Gaddafi und viele andere prominente Politiker die Gangway auf dem Flughafen Schönefeld herunterbegleitet, ihnen das Gästebuch der DDR überreicht oder in der Berliner Residenz die Gäste auf eine tückische Türschwelle aufmerksam macht. Die Defa-Regisseure Konrad Herrmann und Burghard Drachsel drehten in Zusammenarbeit mit dem SFB das Porträt über „Honeckers Zeremonienmeister“, das am 15.Mai (20.10 Uhr im dritten Fernsehprogramm der Nordkette) ausgestrahlt wird.

Jahsnowski bezieht heute „Altersüberbrückungsgeld“ in der berüchtigten „Warteschleife“ und hat Zeit, über seine frühere Arbeit nachzudenken. „Ich habe meine Arbeit geliebt“, bekennt er freimütig.

Er denkt an die Jahre zurück, in denen er die Mächtigen der Welt dezent und möglichst im Hintergrund begleitete und zum Zeremonienmeister für den Pomp und Repräsentationsdrang einer Führungsriege wurde, von der er sich schließlich verraten fühlte.

Bedenken seien ihm schon gekommen, meint er heute, „aber wem hätte ich mich anvertrauen sollen?“.

Der Parteigenosse von 1951 bis 1990 spricht rückblickend und entschuldigend, nachdem sein Arbeitsleben im Dienste der „Arbeiter- und Bauernmacht DDR“ einem Zeitraffer gleich im Film noch einmal vor ihm abgelaufen ist, von Idealen, Erziehung, Disziplin, Angst und Kadavergehorsam. Das Ende kann er eigentlich immer noch nicht fassen. „Es war deprimierend zu sehen, wie alles wie ein Kartenhaus zusammenstürzte. Das hat weh getan.“

„Nicht jeder wußte, wie geküßt werden sollte“

Seine schönsten Erinnerungen verbindet der in Frankreich geborene Sohn einer polnischen Mutter, der zweisprachig aufwuchs, bald noch mehr Sprachen perfekt beherrschte und eigentlich Priester werden sollte, mit Albert Schweitzer und „Onkel Ho“, dem nordvietnamesischen Staats- und Parteichef Ho Chi Minh. Dieser behandelte Jahsnowski, der ihm zwei Jahre lang als Sekretär diente, „wie einen Sohn“. Mit Honecker dagegen seien nicht einmal etwas persönlichere Gespräche möglich gewesen. „Seine Isolation war groß. Er hatte auch im Politbüro keine Freunde. Wie ich überhaupt kaum zwei Politbüromitglieder nennen könnte, die engere persönliche Kontakte gepflegt haben.“

In einem krassen Gegensatz dazu hätten die offiziellen „Bruderküsse“ bei den Staatsempfängen gestanden, meint Jahsnowski und legt Wert auf die Feststellung: „Die Küsse waren kein Element des Protokolls. Das war ein Beiwerk, ein typisch slawisches, und wirkte bei uns manchmal lächerlich. Nicht jeder wußte, wie geküßt werden sollte. Einer bevorzugte nur eine kräftige Umarmung, ein anderer legte Wert auf einen herzhaften Lippenkuß.“