»Unsere Frauen waren glücklich«

■ Politprominenz beendet erste Brandenburger Frauenwoche/ Auch Ministerpräsident Stolpe hat was zur Gleichberechtigung zu sagen/ Ost- und Westfrauen kriegen sich über die Kinderfrage in die Wolle

Potsdam. Wo gibt's denn so was: Ein Ministerpräsident und fast die Hälfte seiner MinisterInnenriege stellt sich am Muttertag-Abend locker und ohne Bodyguard einem ganz und gar unerlauchten Publikum — dem (Frauen)Volk und seinen Fragen. Alles Demokratie oder was? So sind sie eben in Potsdam: Sagen nicht nur zu, wenn sie zum Abschluß der ersten Brandenburger Frauenwoche — die übrigens mit gutem Erfolg in zahlreichen Städten des Landes über die Bühne ging — zur Diskussion eingeladen werden. Sie kommen auch noch.

So war es sicher in erster Linie das »hochkarätige« Podium, das Frauen jeden Alters und manch begleitenden (Ehe)Mann Sonntag abend in den »Claudius-Club« lockte. Mal hören, was die Politprominenz zum Thema »Gleichberechtigung von Frauen und Männern — politische Emanzipation« zu sagen hat. Neben Ministerpräsident Manfred Stolpe mit von der Partie: Bildungsministerin Marianne Birthler, Justizminister Otto Bräutigam, die Berliner FDP- Chefin Carola von Braun, die Bundestagsabgeordneten Inge Wettig- Danielmeier (SPD) und Christina Schenk (UFV) und last not least die Sponsorin der Frauenwoche und Publikumsliebling Regine Hildebrandt, Ministerin für Arbeit, Soziales und Frauen.

Neu war sicher nicht, was den TeilnehmerInnen zu dem Widerspruch einfiel, daß Frauen in einer »modernen Industriegesellschaft« zwar vor dem Gesetz, aber im realen Leben noch lange nicht gleichgestellt sind. Interessant aber war, wie Männer sich diesem Problem stellen bzw. entziehen und an welchen Punkten es zwischen Ost- und Westfrauen zum Disput kam.

Aufgeklärten Männern wie Bräutigam bereitet es heute keine Schwierigkeiten mehr zuzugeben, daß von »Chancengleichheit« noch lange nicht die Rede sein kann. Mann redet zwar nicht vom Patriarchat, dafür aber von »in Jahrhunderten gewachsener Mentalität«, von »objektiven Behinderungen« und daß das alles ein »langer und schwieriger Prozeß« ist. Dann seine Kernaussage, die keine so richtig bemerkt, zumindest gibt es kaum Protest: Frauen sind eigentlich selbst schuld, denn ihnen fehlt es an Bereitschaft, sich für die eigenen Rechte zu engagieren. Viele haben die Gleichberechtigung für sich noch gar nicht akzeptiert. Ein bißchen harmloser sagt das auch Stolpe, nachdem er vorher die berufstätigen Mütter, die »so viel mitmachen müssen«, zu seinen Lieblingsheldinnen erklärt hat: Frauen müßten mehr kämpfen, zur Not auch auf die Straße gehen. »Ich komme dann mit.«

Kampf statt Debatten

Kämpfen will auch Regine Hildebrandt, und nicht so viel über »langwierige« Prozesse debattieren, denn »unsere Mentalität« — gemeint ist die der Ostfrauen und -männer — »wird hier in Wochen und Monaten umgekrempelt.« Für sie sind die Grundpfeiler der Gleichberechtigung die Sicherung der Kinderbetreuungseinrichtungen und die Erwerbsarbeit für Frauen. Dafür wirbelt die Königin der Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen auf allen politischen Ebenen. Und mit berechtigtem Stolz verweist sie noch einmal auf eine Errungenschaft, die Brandenburg als einziges der FNL vorweisen kann: Die Finanzierung der Kindereinrichtungen ist mit 580 Mio Mark bis Ende dieses Jahres gesichert.

Die Ostfrauen quittieren es dankbar. Kinder und Erwerbsarbeit, so wird wieder einmal deutlich, sind für sie ein identitätsstiftenderes Moment als für Westfrauen. Einer der Wessis platzt angesichts der Klagen über die verlorenen »Errungenschaften« (Christina Schenk: »Im Vergleich zum Kapitalismus war das Patriarchat in der DDR ein Kinderspiel«) der Kragen. Sie sei »erschrocken über das positive Bild der DDR- Frauen«, das hier gemalt werde. Sie habe sie als »so verbraucht« erlebt und die Kindergärten dort als »so schrecklich.« Kindergärten seien an und für sich »unmoralisch«. Statt dessen müsse über einen neuen Arbeitsbegriff nachgedacht werden. Die meisten Frauen wollten, wenn sie nicht müßten, überhaupt nicht arbeiten, sondern bei ihren Kindern bleiben.

Der Aufschrei bei den Ostfrauen kommt unisono. »Unsere Frauen waren glücklich«, empört sich die Potsdamer Frauenbeauftragte Thiel. Jetzt kämen sie in die Beratungsstelle und heulten, weil sie arbeitslos seien und vor lauter Ich-weiß-nicht-was schon viermal hintereinander die Gardinen gewaschen hätten. »Und unserer Kindergärten brauchen wir uns auch nicht zu schämen.« Satter Applaus.

Die Ost-West-Front ist abgesteckt. Marianne Birthlers brückenschlagende Worte haben leider wenig Wirkung gezeitigt: Die Ostfrauen hätten zwar sozial erhebliche Erleichterungen gehabt, seien von der Gleichberechtigung aber genauso weit entfernt gewesen wie ihre Westschwestern. »Wir haben einen unglaublichen Preis für unsere Unabhängigkeit bezahlt.« Die Frauen in der DDR hätten zwar eine neue Rolle gefunden, seien die alte aber nicht losgeworden. »Viele haben sich dabei kaputtgespielt.« Die Westfrauen hingegen hätten die Freiheit der Diskussion gehabt und seien im Bewußtseinsprozeß wesentlich weiter gekommen. Auf einen »gegenseitigen Lernprozeß« setzt die Bildungsministerin nun ihre ganzen Hoffnungen.

Im Publikum ist davon wenig zu spüren. Eine Ostlerin zeigt sich von der westdeutschen Frauenbewegung ziemlich unbeeindruckt. Denn was richtig kämpfen heißt, wüßten viele gar nicht, weil sie keine Kinder hätten. Und Marina Beyer, einst Frauenbeauftragte von Lothar de Maizières Übergangsregierung, findet, daß sich die Westlerinnen mit Kindern sowieso viel leichter tun, weil sie in der Regel gut verdienen und sich eine Haushaltshilfe leisten können. Die einstige Frauenbeauftragte des Berliner Senats, Carola von Braun, kontert mit der »Feminisierung der Armut«.

Sie führt die 30 Prozent alleinerziehenden Haushalte, meist Frauen, im Westteil der Stadt ins Feld — ein guter Teil von ihnen Sozialhilfeempfängerinnen. Von wegen Haushaltshilfe. Auch die Chefin der sozialdemokratischen Frauen, Inge Wettig-Danielmeier, ist in Harnisch geraten. Mit Zahlen will sie belegen, daß sie und ihre Genossinnen überdurchschnittlich viele Kinder großgezogen und trotzdem Karriere gemacht haben. Im übrigen könne sie das Gerede von den »glücklichen Muttis« in der alten DDR nicht mehr hören. »Ich kann nicht verstehen, warum ihr jetzt nicht eine Kampagne für Arbeitszeitverkürzung macht.« Fünf bis sechs Stunden pro Tag für alle sei genug. Eine Teilnehmerin plädiert salomonisch für »Wahlfreiheit« bei einem generellen Recht auf Arbeit. Wer an dieser Stelle applaudiert, macht nichts falsch.

Lobbyistinnen gefragt

Abgesehen von den politischen Statements, die Moderatorin Bärbel Romanowski vom DFF den PodiumsteilnehmerInnen immer wieder abrang, gewiß kein öder Abend. Das Publikum diskutierte ohne Scheu mit und nutzte die Gunst der Stunde, an höchste Stelle nachzufragen wegen abschlägig beschiedener Projektanträge oder uneingelöster Versprechungen, wie etwa ein Referat für gleichgeschlechtliche Lebensweisen, das im Hause von Regine Hildebrandt angesiedelt werden sollte. Dicke Trauben bildeten sich nach Diskussionsschluß um die VolksvertreterInnen, frei nach dem Motto: Treib' Lobby in der Zeit, so kriegst du (vielleicht) in der Not. Ulrike Helwerth