Hassemer macht Hauptstadt schmackhaft

■ Die Bundestagsabgeordneten sollen in dieser Woche mit einem Modell der »Hauptstadt der kurzen Wege« vom Regierungssitz Berlin überzeugt werden/ Auch schnelles Abhauen aus dem Moloch soll garantiert werden/ Wohnen rund ums Parlament

Berlin. Wenn der Bundestag am 20. Juni über den Sitz der deutschen Regierung entscheidet, dann sollten sie eines ganz genau wissen: in Berlin gibt es genügend Platz, um alle obersten Bundeseinrichtungen unterzubringen. Die Stadt wäre als Regierungssitz eine »Hauptstadt der kurzen Wege«, sagte der Senator für Stadtentwicklung und Umweltschutz, Volker Hassemer, gestern vor einigen Bundestagsabgeordneten in der Ostberliner »Kammer der Technik«, wenige Meter hinter dem Reichstagsgebäude.

Die Konzeption sieht neben einer Nutzung der bereits vom Bund unterhaltenen Häuser umfangreiche Neubauten nordwestlich des Reichstages im ehemaligen Alsenviertel am Spreebogen und im Zentrum der Stadt rund um den Marx-Engels- Platz, vor. Die Parlamentarier könnten, versprach Hassemer den Bonner Eigenheimbesitzern, in einem Umkreis von rund 500 Metern um das Reichstagsgebäude wohnen und arbeiten.

Und was mit das attraktivste wäre, der Spaziergang von einem Regierungsviertel ins andere, würde entweder über die Prachtstraße Unter den Linden oder entlang der Spree führen. Auch die schnelle Flucht heraus aus dem unüberschaubaren Moloch Berlin wäre danach für die eher ängstlich und provinziell strukturierten Bundestagsabgeordneten garantiert. Die bestehende Stadtbahntrasse, auf der S-Bahn und Fernzüge in Ost-West-Richtung verkehren, könnte nördlich des S-Bahnhofes Lehrter Straße mit einer neuen Nord- Süd-Hochgeschwindigkeitsbahnlinie verknüpft werden.

Hassemers Modell sieht vor, daß sich die Regierungsspitze und der Bundespräsident im Bereich Leipziger Straße und Unter den Linden niederlassen werden. »Für repräsentative Zwecke biete sich das nahegelegene Kronprinzenpalais an«, meinte der Senator. Bundeskanzler Kohl allerdings hat sich dieses Schmuckstück bereits als Kanzleramtssitz ausgeguckt. Für den Bundesrat biete sich die Kongreßhalle im Tiergarten und ein nördlich davon zu errichtender Neubau an. Im möglichen Regierungsviertel könnte der »Palast der Republik« einem modernen Neubau in den Dimensionen des ehemaligen Stadtschlosses weichen. Abgerissen werden dürfte bei einer Realisierung der Vorstellungen auch das gegenüberliegende Gebäude des DDR-Außenministeriums. Als interessantes Wohngebiet schlug der Senator die Freiflächen am Moabiter Werder vor.

Mit 390.000 Quadratmetern Hauptnutzfläche sei die in Berlin zur Verfügung stehende Fläche kaum geringer als die in Bonn, rechnete Hassemer vor. Auch am Rhein müßten 40 Prozent der bestehenden Gebäude erweitert werden, um Regierungssitz für ganz Deutschland zu sein. Zu Kosten- und Zeitrahmen der Berliner Um- und Neubauten wollte sich Hassemer nicht äußern. Er halte es für sinnvoller, bei der Gestaltung des Arbeitsplatzes »für die nächsten hundert Jahre« eher nach der »besten als nach der billigsten Lösung zu fragen«.

Hassemer betonte bei der Modellvorstellung den Angebotscharakter der Konzeption. Eine endgültige oder schon letztlich ausgereifte Planung sei dies jedoch nicht. Der Senator wolle nur zeigen, sagte er, daß das Regieren in Berlin machbar sei und sich lohne. Die Bundestagsabgeordneten, die sich in dieser Woche anläßlich einer Plenarsitzung in der Stadt aufhalten, können sich bis Ende der Woche »handgreiflich«, also mit Zeigestock und Modell, von der Attraktivität der Bundeshauptstadt Berlin überzeugen. aku