Judenhaß bei Alternativfunkern

Freiburger Radio Dreyeckland lud antizionistischen Hetzredner zur Studiodiskussion/ HörerInnen protestierten mit Studiobesetzung gegen zunehmende Tendenz zum Antisemitismus in der Linken  ■ Aus Freiburg Ulrich Fuchs

„Radio Dreyeckland: antikapitalistisch, antiimperialistisch, antirassistisch, antisexistisch — jetzt auch antisemitisch?“ — so lautete die provokante Frage, mit der eine Gruppe von „Freunden, Hörern und Mitarbeitern“ vergangenen Samstag für zwei Stunden die Studioräume des in Freiburg ansässigen alternativen Senders besetzte.

Hintergrund der Aktion: Eine Diskussionreihe in Radio Dreyeckland (RDL) mit dem Titel „Hintergründe zum Golfkrieg“, zu der die ModeratorInnen als vermeintlichen Experten auch Professor Dr. Helmut Spehl, einen Akademischen Rat am Physikalischen Institut der Universität Freiburg, geladen hatten. Helmut Spehl aber, so die InitiatorInnen der Besetzungsaktion, hat spätestens mit seiner bereits 1978 erschienenen Publikation Die Fortzeugung des Behemoth den wirklichen Antrieb seines Engagements für den palästinensischen Befreiungskampf entlarvt.

Tatsächlich wimmelt es in dieser Schrift von antisemitischen Stereotypen. Da ist von der „Zionistensuche“ genauso die Rede wie von der „jüdischen Schnorrmaschine“, die nicht nur bei der Flucht der Juden vor den Nazis von ihren eigenen Leuten „kassiert“ hatte, die, mehr noch, in allen Ländern, voran den USA, ihr Geld sammelt. Und ungehemmt ergießt sich die sexuelle Projektion des Physikprofessors dort, wo er sich über von ihm behauptete Verhandlungen zwischen Zionisten und Nazis, Russen und Engländern ausläßt. „Zweifelhafte Partnerleidenschaften“ mit „vielversprechenden Liebhabern“ werden konstatiert, die es „treiben“ im „Lotterbett“. Nebenbei gibt es „buhlerische Zwischenakte (...), bei denen's die Zionisten mit (...) anglikanischen Antisemitenjüngelchen treiben“, die den Zionismus in anderen Staaten zu weiteren „Techniken der Kopulation“ verleiteten. Wer anfangs noch geglaubt hatte, die Einladung Spehls zum alternativen Sender, der, seit 1988 legal, sein Programm mit größtenteils ehrenamtlichen MitarbeiterInnen produziert, wäre Folge journalistischer Fahrlässigkeit gewesen, mußte sich eines Schlechteren belehren lassen. Dem Skandal der Einladung folgte, nachdem innerhalb einer RDL-Sendung erste Kritik laut geworden war, der Skandal ihrer Rechtfertigung.

In ihrer ebenfalls über den Sender verbreiteten „Klarstellung“ erklärten die ModeratorInnen der Golf- Krieg-Reihe, es wäre ein Kennzeichen auch von RDL-Diskussionen, „daß dort verschiedene Meinungen vertreten sind“, und „daß die Diskutierenden vorher nicht bis aufs Hemd untersucht worden sind, was sie alles schon einmal gesagt oder geschrieben haben“. Außerdem sei die Kritik an Spehl und seinen Äußerungen „kleinbürgerlich“, und da „kann ja sowieso nicht viel bei herauskommen“.

Für die InitiatorInnen der jetzt durchgeführten Studio-Besetzung war damit endgültig die Grenze erreicht. Innerhalb weniger Wochen wurde eine umfangreiche Broschüre erarbeitet, in der neben der Dokumentation und Analyse des Falles Spehl-RDL die „Tendenz zum Antisemitismus in der Linken“ auch als weit über diesen Fall hinausweisendes Phänomen diskutiert wird. „Links-antizionistische Erklärungsmuster“, hieß es dort, „sind nicht nur nicht gegen Antisemitismus immun, sondern können tendenziell in Antisemitismus umschlagen.“ Außerdem, so die AutorInnen in einem Antrag an die Mittwoch dieser Woche stattfindende Mitgliederversammlung von RDL, „ist die Indifferenz gegen Antisemitismus auch Element antisemitischen Denkens selbst. Eine solche Gleichgültigkeit hat in einem linken Projekt nichts zu suchen.“ Bei den Forderungen gibt man sich dann eher zurückhaltend, personelle Konsequenzen werden mit eingeklagten „Maßnahmen innerhalb des Radios, daß diese Propaganda in Zukunft unterbleibt“, bestenfalls angedeutet. Nicht weniger verhalten war auch die erste Reaktion bei der Geschäftsführung des „Freien, antikommerziellen, linken Regionalradios“ (RDL über RDL). Zwar sieht auch Michel Menzel „die Grenze dort erreicht, wo Antizionismus dahingehend umkippt, daß antisemitische Stereotype benutzt werden“, aber „administrative Maßnahmen“ hält er für das „allerletzte Mittel“. Clou am Rande: Die Mitgliederversammlung des sich zum größten Teil aus Mitgliedsbeiträgen finanzierenden Radios wäre aufgrund der rechtlichen Konstruktion des Senders gar nicht in der Lage, ein Mikrofonverbot auszusprechen. Ein in diese Richtung gehendes Votum bedürfte, um wirksam zu werden, erst noch der Zustimmung des Redaktionsplenums. Immerhin haben die BesetzerInnen erreicht, daß das Thema Antisemitismus bei RDL jetzt nicht mehr auf der Ebene von Kritik und Gegendarstellung innerhalb des Sendebetriebes verhandelt werden kann. In einer Selbstdarstellung von RDL heißt es über die „Utopie des Freien Radios“: „Ein Radio, das offen ist für alle, das diejenigen sprechend macht, die sonst nicht oder unzureichend zu Wort kommen.“ Am Fall Spehl wird der Sender jetzt den Nachweis führen müssen, daß dieser Anspruch nicht in fataler Weise gegen die dahinter stehende Intention gewendet werden kann.