Verse sprudelnder Kopf

■ Wolfgang Hofmann inszeniert Rostands „Cyrano“

Wenn Cyrano de Bergerac unter dem Balkon der abgebetenen Roxane steht und dem unbedarften Christian selbstlos eine der schönsten Liebeserklärungen einflüstert, die für das Theater geschrieben wurden — wenn es ihm also schier das Herz zerreißt (weil er selbst eine so lange Nase hat und Christian den Balkon hochsteigen wird) und er sich gleichzeitig in der Schönheit der eigenen Verse aalt, ahnt man, was ein Schauspieler als Cyrano alles zu spielen hat: Einen Haudegen und Poeten, der mit seiner Mißgestaltung im Gesicht ironisch umgeht; einer, dem die Augen beim Dichten glänzen und der andere schlitzohrig an der Nase herumführt, die Masken wechselt, voll Herzerguß und stolzer Verachtung. Edmond Rostands Cyrano ist ein Bruder des „Scapin“ und macht wie Molières Irrwisch die Welt unsicher. In Heidelberg flirrt Klaus Hemmerle über die Bühne und läßt für vier Stunden vergessen, daß man sich im Kino auch Gerard Depardieu ansehen könnte. Man glaubt ihm, daß der Cyrano rasen kann und dabei weiß, daß er jetzt rast; daß er nobel für einen anderen um die wirbt, die er selbst liebt, und dabei weiß, daß ihm die unerfüllte Liebe gar nicht so schlecht ins Dichterkonzept paßt.

Inszeniert wurde der Cyrano von Wolfgang Hofmann, einem jungen Regisseur, der eine selten gute Hand für Schauspieler hat, sich klug vorwärts inszeniert, und vor einiger Zeit mit Ovids Metamorphosen auf sich aufmerksam machte. Der Cyrano wurde in Heidelberg auf den Spielplan gesetzt, lange bevor der Film in unsere Kinos kam. Daß Rostands selten gespieltes Stück derzeit gleichzeitig auf der Leinwand und der Bühne zu sehen ist, macht wieder einmal darauf aufmerksam, wie wenig von der Breite literarischer Vorlagen in Filmen umgesetzt wird. So ist Montfleury — Rostands selbstgefälliger Schmierenkomödiant — im Film nicht mehr als ein Gesicht, auf die Heidelberger Bühne kommt er als jene Knallcharge, die Cyrano so vehement bekämpft. Und Marcus Calvin gelingt als Christian eine sehenswerte kleine Studie des jungen Mannes, der naiv-glücklich liebt und zusehends düsterer wird, je mehr sich seine Roxane in den poetischen Kopf verliebt, der ihr all die Verse schreibt — Cyrano. Roxane denkt, der Verse sprudelnde Kopf sitze auf Christians Schultern, Cyrano bis zum Ende unter seiner langen Nase und Christian stürzt sich selbstmörderisch in die Schlacht, weil er sich nicht wirklich geliebt fühlt. Eine „romantische Komödie“ nannte Rostand sein Stück, das von einem Zeitgenossen Molières sein könnte und doch etwas modern Melancholisches hat. Geschrieben wurde es Ende des letzten Jahrhunderts und hat indirekt doch etwas mit Molière zu tun — die langnasige Hauptfigur Rostands gab es wirklich. Er war ein Zeitgenosse des Komödiendichters und hat wahrlich geschrieben, Die Reise zum Mond und Die Reise in die Sonne. Heute würde man den poetischen Schwärmer einen Science-Fiction-Autor nennen. Jürgen Berger

Edmond Rostand: Cyrano de Bergerac . Regie: Wolfgang Hofmann. Bühne: Momme Röhrbein. Fechteinstudierung: Christoph Walther. Mit Klaus Hemmerle, Marcus Calvin, Pia Podgornik, Joachim Henschke, Helmut Kahn. Theater der Stadt Heidelberg. Weitere Vorstellungen: 15. Und 17.5.