piwik no script img

Eine Sehnsucht nach einfachen Lösungen

■ Die Ursachen für den Rechtsextremismus in den neuen Bundesländern sind vielschichtig und oftmals eine Flucht aus dem komplizierten Alltag

Aber ein Antifaschist, der nicht sehr viel mehr als ein Antifaschist, ist vielleicht kein Antifaschist.Erich Fried (1983)

„In den neuen Bundesländern kann der Rechtsextremismus den Reiz des Neuen haben, der sich wie in der Bundesrepublik schnell abschleift“, ließ jüngst Brandenburgs Innenminister Alwin Ziel (SPD) seiner naiven Hoffnung freien Lauf. Daß sich das Problem so lösen lasse, glauben indes nur wenige. Denn das Phänomen Rechtsextremismus/Neofaschismus gibt es nicht erst seit dem Mauerfall. Mitarbeiter des Zentralen Kriminalinstitutes (ZKI) beim ehemaligen Ministerium des Innern der DDR beobachteten bereits 1981 erste rechtsextremistische Tendenzen unter Jugendlichen. Sie verfaßten darüber auch interne Studien. Nach dem Motto, daß nicht sein kann, was nicht sein darf, wurden die rechtssradikalen Umtriebe jedoch konsequent unter den Teppich gekehrt — die Untersuchungen verschwanden in den Tresoren, die Autoren wurden strafversetzt oder degradiert. Übergriffe von rechtsradikalen Skinheads, von „Nazi-Punks“ oder selbsternannten „Faschos“ gab es in der jüngeren DDR-Geschichte ebenso wie in Westdeutschland, insbesondere am Rande von Fußballspielen. Ende 1987, als Skins mit rechten Parolen eine Veranstaltung in der Ostberliner Zionskirche überfielen, ließ sich das Problem nicht mehr unter der Decke halten, und eine erstaunte (West-)Öffentlichkeit nahm zur Kenntnis, daß der staatlich verordnete Antifaschismus längst brüchig geworden war. Den politischen Hintergrund solcher Übergriffe blendete die DDR kurzerhand aus. Man sprach, um das eigene Weltbild nicht zu stören, harmloserweise von „Randalierern“ und „Rowdies“.

Mit der deutschen Einheit und der Öffnung der Mauer ist die Anzahl der rechtsextremistischen Übergriffe auf dem Gebiet der alten DDR sprunghaft gestiegen. Kaum ein Tag vergeht, an dem die Zeitungen nicht über Überfälle von Fußballfans, Skinheads oder Neonazis auf Ausländer, Andersdenkende und linke Szenetreffs berichten.

Im Honecker-Staat war es in erster Linie die immer weiter klaffende Kluft zwischen dem „antifaschistischen“ Anspruch und dem realsozialistischen Alltag, die Jugendliche in die Arme rechtsextremer Gruppen trieb. So beschreiben die Sozialpsychologen und Polizeiexperten aus der DDR nach der Wende das Phänomen des DDR-Radikalismus. Der Einstieg in die rechten „Freizeitgruppen“ erfolgte danach oftmals aus einem reinen Protestverhalten und ohne ausgewiesenen politischen Hintergrund. Die Äußerlichkeiten waren beispielsweise ein extrem kurzer Haarschnitt oder das Tragen bestimmter Kleidungsstücke wie Bomberjacken und Springerstiefel. Der Ausstieg aus dem DDR-Alltag erfolgte quer durch alle sozialen Schichtungen, Kinder von Angehörigen des Ministeriums gehörten ebenso zur jugendlichen Protestkultur wie die der SED-Mitglieder. Diesen Ausstieg begleitete zudem eine ausgeprägte Oppositionshaltung — und im antifaschistischen Staat ließ es sich mit nichts besser provozieren als mit rechtsradikalen Sprüchen oder neonazistischen Symbolen. Erst die Beschäftigung in diesen Gruppen mit rechtsradikalen Theorien habe — so die DDR-Experten — gepaart mit gruppendynamischen Prozessen die latenten und typischen Momente wie Haß auf AusländerInnen, Homosexuelle und KommunistInnen drastisch forciert. Was als Freizeitgruppe begann, endete für viele in hierarchisch straff geführten Verbänden. Unter den Forschern in der Noch-DDR galt der Rechtsextremismus bis zur deutschen Einheit als hausgemachtes Problem.

Heute, nachdem nahezu alle rechtsextremistischen Gruppen aus dem Westen Deutschlands ihr Heil in den fünf neuen Bundesländern zu verkünden suchen, machen die Wissenschaftler zunehmend die mit der deutschen Einheit aufgetretenen gesellschaftlichen Widersprüche und Marginalisierungsprozesse für den wachsenden Radikalismus, nicht nur im Gebiet der alten DDR, verantwortlich. Der Privatdozent für Politikwissenschaft an der Universität in Bremen, Christoph Butterwegge, erklärte beispielsweise in seinem Habilitierungsvortrag in Bremen, daß der Widerspruch zwischen der Monopolisierung der Produktionsmittel und der Segmentierung der Gesellschaft in erster Linie für die wachsenden Spannungen im Massenbewußtsein verantwortlich sei. Ökonomistische oder vulgär-marxistische Modelle greifen für ihn zu kurz, wenn sie Wirtschaftskrisen oder daraus erwachsende Problemlagen für die Rechtsentwicklung verantwortlich machen oder das „komplexe Phänomen Rechtsradikalismus/Neofaschismus“ monokausal und eindimensional erklären wollten. Für Butterwegge und andere sind es die aus dem Widerspruch folgende Anonymisierung, die „Entkollektivierung der Lebensweise“ und die „Reprivatisierung sozialer Risiken“, die zu zahlreichen Friktionen, politischen Restriktionen und zu sozialkulturellen Brüchen führen. Die Folge: Gewachsene Milieus, religiöse oder Klassenbindungen lösten sich auf, ebenso wie die familiären oder nachbarschaftlichen Bande. Es sei die „neue Unübersichtlichkeit“ (die auch schon Jürgen Habermas beschrieb), die viele Menschen dazu verleite, „eine vorgebliche Sicherheit in einer Umorientierung nach rechts zu suchen“. Mit anderen Worten, wer weder über Arbeit, Ausbildungsplatz, Geld oder sinnvolle Freizeitmöglichkeiten verfügt, ist für die populistischen Sprüche der Rechtsextremen ebenso empfänglich wie für die Tendenzen einer „Sündenbockgesellschaft“, in der nicht die Verantwortlichen, sondern deren Kritiker den Unmut auf sich ziehen. Das Motiv für die Übernahme rechtsradikaler Muster oder die Unterstützung neofaschistischer Gruppierungen ist — zumindest für Butterwegge — auch die Flucht aus dem zunehmend komplizierter werdenden Alltag und „die Sehnsucht nach einfachen Problemlösungen“. Wolfgang Gast

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen