Populistisches Schwanzwedeln

■ Die Forderung des SPD-Vorsitzenden Vogel nach Neuwahlen

Populistisches Schwanzwedeln Die Forderung des SPD-Vorsitzenden Vogel nach Neuwahlen

Am Wochenende forderte der SPD-Vorsitzende Hans-Jochen Vogel, dem „schlimmen Zustand“ eine Ende zu setzen: Angesichts der katastrophalen Umfrageergebnisse für die CDU in den neuen Bundesländern seien Neuwahlen das beste Mittel. Vogel verglich die Lage der jetzigen Bundesregierung mit der Endphase der sozialliberalen Koalition unter Helmut Schmidt vor der „Wende“ im Herbst 1982. Bedauerlich nur, daß einer Neuauflage dieser Koalition auch rein rechnerisch, die Mehrheit fehlt. Davon abgesehen, gilt es zunächst einmal festzuhalten: Die jetzige Regierung besitzt, ob einem das gefällt oder nicht, einen soliden Wählerauftrag — und die entsprechende Mehrheit im Bundestag. Daß die Mehrheit im Bundesrat inzwischen eine andere ist, kann man unter demokratischen Gesichtspunkten nur begrüßen. Hat dies doch zur Folge, daß sich die SPD künftighin nicht mehr aus jeglicher Verantwortung wird stehlen können.

Die Idee allerdings, die den SPD-Vorsitzenden umtreibt, wenn er jetzt Neuwahlen fordert, entbehrt nicht einer gewissen Pikanterie. Ausgerechnet die Vertreter jener etablierten Parteien, die sich immer mit Händen und Füßen gegen jegliche Form basisorientierter Einflußnahme auf die Politik wehrten, und ausgerechnet jene Partei, deren innerparteiliche Strukturen die Begriffe „Ochsentour“ und „Kanalarbeiter“ hervorbrachten, ausgerechnet der Vorsitzende dieser Partei nun macht sich zum Anwalt des billigsten Populismus. Nicht, daß es eine ernstliche Chance gäbe, zu Neuwahlen zu kommen, dazu unterschätzt Vogel die Fähigkeiten des Kanzlers und sein Beharrungsvermögen gewaltig. Und wie dessen — durchaus nicht unsympathischer — Spontiauftritt in Halle zeigte, besitzt Helmut Kohl auch die Courage, in einer Auseinandersetzung zu bestehen, die härter wird.

Bedeutsam aber ist der Vogelsche Vorschlag für das, was man so gerne mit dem Begriff „politische Kultur“ umschreibt.

Es stellt sich die ernste Frage, was die demoskopischen Ergebnisse in der ehemaligen DDR bedeuten. Wollten die Befragten zum Ausdruck bringen, sie hielten das SPD-Programm — nebenbei: ist denn eins für die neuen Bundesländer zu erkennen, außer daß der Staat die Arbeitsplätze garantieren soll? — für die richtige Antwort auf ihre Probleme, oder sind die gewaltigen Stimmausschläge nicht vielmehr ein Indiz dafür, daß vielen Bürgern in der DDR eine Bindung zu den Institutionen und Funktionsweisen der parlamentarischen Demokratie fehlt und sie einfach jetzt mal etwas Neues probieren? Wenn die SPD wirklich das Interesse einer Demokratisierung auch der Mentalitäten — und nicht nur der Abschöpfung der Wählerstimmen — in der EX-DDR hat, dann sollte sie sich vor jedem Populismus hüten. Wenn die großen Volksparteien sich durch den Verzicht auf Programmatik aus den Schwierigkeiten herauszuwinden suchen, die ihnen durch die tiefgreifende mentale Spaltung der beiden Teile des Wählervolkes erwachsen, und statt dessen wechselhaften Stimmungen hinterherlaufen, dann wäre das tatsächlich der Beginn einer gefährlichen Krise der Demokratie. Ulrich Hausmann