Atomare Altlast der CDU

■ In Koblenz beginnen am Donnerstag die ersten Verfahren gegen die erneuerte 1. Teilgenehmigung des AKWs Mülheim-Kärlich/ Trotz Druck vom RWE kein Sofortvollzug vor Regierungswechsel

Mainz (taz) — Das umstrittene Atomkraftwerk Mülheim-Kärlich bei Koblenz beschäftigt ab Donnerstag die rheinland-pfälzische Justiz. Das Oberverwaltungsgericht Koblenz verhandelt zunächst die Klagen der Städte Neuwied und Mayen, die sich gegen die erneuerte 1. Teilgenehmigung ( 1. TEG) wenden. Weitere Klagen von Kommunen und Privatpersonen kommen erst im Herbst an die Reihe.

Die „1. TEG (neu)“ wurde von dem noch amtierenden Mainzer Umweltminister Alfred Beth (CDU) am 20. Juli 1990 erteilt, nachdem das Bundesverwaltungsgericht Berlin 1988 die alte 1. TEG wegen erheblicher Bewertungs- und Ermittlungsdefizite als rechtswidrig verworfen hatte. Die Nachbesserung der 1.TEG indes dürfte diese Defizite kaum behoben haben. So hatten AKW-GegnerInnen aufgedeckt, daß eine „neue“ Expertise des Geologischen Landesamtes nachträglich geglättet worden war: Die ursprünglich geforderten weiteren geologischen Untersuchungen des AKW-Standorts am Rande eines erloschenen Eifelvulkans wurden gekippt; statt dessen wurden lediglich alte Analysen neu bewertet (die taz berichtete).

Trotz der 1. TEG blieb das AKW bisher kalt. Ein erster Antrag des AKW-Betreibers RWE auf Sofortvollzug wurde von Beth abgelehnt — wegen der anstehenden Gerichtsverfahren und der wachsenden Distanz der mitregierenden FDP zum AKW. „Wir sind doch keine Kernkraftfetischisten“, sagt FDP-Chef Brüderle. Dennoch hatte das RWE zuletzt verstärkt auf den Sofortvollzug und die noch ausstehende Dauerbetriebsgenehmigung (9. TEG) gedrängt. Das RWE wollte beides noch vor dem Regierungswechsel Mitte Mai bewerkstelligen. Der Plan jedoch scheint zu scheitern, wurde in Hintergrundgesprächen zwischen der alten CDU/FDP-Landesregierung mit dem künftigen Mainzer Ministerpräsidenten Rudolf Scharping (SPD) abgewehrt.

Scharping hatte vor der rheinland- pfälzischen Landtagswahl versprochen, das AKW werde unter seiner Regierung nicht mehr ans Netz gehen. Kurz nach dem Wahlsieg zerbrachen sich Scharpings UmweltexpertInnen jedoch den Kopf über das „Wie“. Sollte nämlich das Koblenzer Oberverwaltungsgericht die 1. TEG (neu) bestätigen, hieß es dazu, dann schwinde der Handlungsspielraum zur Stillegung. CDU-Umweltminister Beth freut sich bereits über die atomare Altlast, die er Scharping hinterläßt: Gebe das Gericht dem Meiler von Mülheim-Kärlich grünes Licht, dann müsse die SPD-geführte Landesregierung bald erneut über den Sofortvollzug entscheiden — „weil sich ansonsten Regreßansprüche ergeben“. Dann steckte Ministerpräsident Scharping in einer Zwickmühle: hier sein Wahlversprechen, dort die Rechtsprechung. Das AKW Mülheim- Kärlich wäre dann für Rheinland- Pfalz, was das AKW Biblis für Hessen ist. Die Abschaltung des dortigen Atomkraftwerks nämlich steht bislang nur auf dem Papier — genauer gesagt in der hessischen Koalitionsvereinbarung zwischen SPD und Grünen. Jo Weidemann