Das Katastrophen-Szenario hat sich verändert

Bund und Länder streiten sich über die Zuständigkeiten in der Zivilverteidigung/ Strategien gegen mangelnde Akzeptanz bei der Bevölkerung/ Vorkehrungen bei ethnischen und sozialen Spannungen  ■ Aus Berlin Christian Busoldt

Der Offizier am Rednerpult des Bundestages war sichtlich erregt: „Offiziere, deutsche Offiziere haben geweint.“ Was den damaligen Bundestagsabgeordneten und Leutnant Helmut Schmidt (SPD) so empörte, war eine Übung der Bundeswehr, bei der sich die Soldaten realistisch darauf vorbereiten mußten, „Hunderttausende Flüchtlinge durch Panzer von der Straße zu fegen“.

Doch was Helmut Schmidt 1958 noch so heftig geißelte, wurde später— nicht unter seiner Verantwortung als Bundeskanzler — als bis heute gültiger Verteidigungsgrundsatz der Nato-Staaten fortgeschrieben: Zivilisten haben einen geordneten Krieg nicht zu stören und sind schon vor dem ersten Schuß unter „Hausarrest“ zu stellen.

Diese „Stay Put“ genannte Doktrin erscheint erst heute manchem Verantwortlichen entbehrlich. Trotz einer grundsätzlich veränderten Weltlage konnten sich die Innenminister des Bundes und der Länder anläßlich der Innenministerkonferenz (IMK) Ende letzter Woche nicht auf eine radikalen Schnitt beim Thema Zivilschutz einigen. Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) stimmte zwar zu, daß der Zivilschutz heute auf die reine Planung beschränkt werden könne, eine Auflösung des Bundesverbandes für Selbstschutz lehnte er jedoch ab. Dem Konferenzthema lag das Ringen um Geld- und Zuständigkeiten zugrunde. Nach dem Grundgesetz darf der Bund allein den Zivilschutz gegen Kriegsauswirkungen organisieren und finanzieren. Vorkehrungen gegen Unglücksfälle in Friedenszeiten fallen dagegen in die Verantwortung der Länder und Kommunen. Die Länder können dieser Aufgabe aber — auch wegen wachsender industrieller Gefahrenquellen — nicht Herr werden, dem Bund geht es nicht anders, er verfügt nicht über genügend Einsatzkräfte.

Daher warf man 1968 einträchtig in einen Topf, was nach Grundgesetz eigentlich nicht zusammengehört. Zum gegenseitigen Nutzen wurden damals die von den Ländern beaufsichtigten Kräfte etwa der Feuerwehren oder Hilfsorganisationen auch für Kriegseinsätze eingeplant. Im Gegenzug verpflichtete sich der Bund, auf seine Kosten zusätzliche Helfer auszubilden und Kriegsausstattung zu beschaffen, deren Nutzung in Friedenszeiten erlaubt sei.

Eigentlich könne es, so die Beschlußvorlage für die Innenministerkonferenz, ein solches „bundeseinheitliches Gefahrenabwehr- und Hilfeleistungssystem“ gegen Schäden unterschiedlicher Herkunft eigentlich gar „nicht geben“. Zivilschutzmaßnahmen des Bundes dürften nach dem Grundgesetz ausschließlich der Vorsorge für den Verteidigungsfall dienen. Die Autoren der Vorlage, den Arbeitskreis V der IMK, verließ aber gleich wieder der Mut: „Die Länder sind jedoch auch in Zukunft bereit, an einem für Krieg und Frieden nützlichen System mitzuarbeiten.“ Der drohende Finanzentzug machte den Spagat möglich.

Anlaß für die gebremste Aufwallung der Länder ist ein schon länger angekündigtes Grundlagenpapier des Bonner Innenministers über die künftigen Strukturen im Zivilschutz (Stand: 13.2.1991). Darin wird der Anpassungsbedarf im Zivilschutz damit begründet, daß die militärische Bedrohung Mitteleuropas „sehr unwahrscheinlich“ geworden sei: Der Staat müsse vielmehr Vorkehrungen gegen „von außen gesteuerte oder angeordnete Sabotagehandlungen sowie gewalttätig ausgetragene ethnische und soziale Spannungen“ treffen. Risiken ergäben sich ferner aus „unvorhersehbar weitreichenden Folgen von Instabilitäten, die in einer Phase raschen und tiefgreifenden politischen Wandels entstehen könnten“. Da solche Zivilschutzaufgaben nach innerem Notstand klingen und für sie sowenig öffentliche Akzeptanz zu erwarten ist wie für das Militär, sei der Hinweis auf einen „sogenannten Doppelnutzen des Zivilschutzes auch gegen technische Unglücksfälle und Naturereignisse“ besonders wichtig.

Die Positionen von Bund und Ländern sind in den einzelnen Punkten aber denkbar kontrovers:

—Den vom Bund geschätzten Bundesverband für Selbstschutz möchte die Ländermehrheit gern auflösen;

—gegen Länder-Widerstand will das Bonner Innenministerium den Sirenenwarndienst auf Radiobetrieb umstellen;

—der Bau von Bunkern und unterirdischen Hilfskrankenhäusern soll dagegen nur „ausgesetzt werden, obwohl zumindest letzterer für den Arbeitskreis V „keine Bedeutung“ mehr habe und „einzustellen“ sei;

—die Bundeseinrichtung Technisches Hilfswerk soll nach Forderungen aus Nordrhein-Westfalen gänzlich gestrichen werden.

Widerspruchslos akzeptierten die Länder nur, daß wertvolle Kulturgüter weiterhin verfilmt werden, um sie einer Kriegsnachwelt wenigstens auf Zelluloid zu erhalten.

Der Bundestag muß in den nächsten Wochen die Beratungen über den Haushalt 1991 abschließen. Bündnis 90/Grüne haben schon umfangreiche Streichungsanträge und die Anrufung des Bundesrechnungshofes angekündigt: Er soll die Bundesbeteiligung am Zivil- und Katastrophenschutz auf das grundgesetzlich vorgesehene Maß zusammenstutzen.