Wunderschöne neue Verordnungen

Ein EG-Dokument, in erster Lesung vom Europäischen Parlament gebilligt, führt die Lebensmittel auf, denen künftig künstliche Süßstoffe beigefügt werden dürfen. Kartoffelchips sind nicht dabei. Die Briten aber sind ganz vernarrt in süße Kartoffelchips und dementsprechend stocksauer. Das Landwirtschaftsministerium in London teilte seine Entschlossenheit mit, gegen den EG-Entwurf notfalls auf die Barrikaden zu gehen, und bekam dafür Beifall aus dem ganzen Land. Die britische Kartoffelchip-Lobby reicht quer durch alle Parteien. Der Labour-Abgeordnete Doug Hoyle klagte: „Wieder einmal mischt sich die Bürokratie in den Geschmack und die Wünsche der Menschen ein.“ Geoffrey Dickens von den Konservativen fragte an, wer diese Leute in Brüssel eigentlich seien, daß sie ihm vorschreiben wollten, keine Kartoffelchips mit Marmeladengeschmack zu essen. Sein Parteikollege Harry Greenway bekannte seine Vorliebe für Käse- und Zwiebelgeschmack. „Ich werde mich hüten, denen in Brüssel über meine Versuche im Unterhaus zu berichten, Briefumschläge mit nach Erdbeer schmeckenden Klebekanten einzuführen.“

Es gab schon einmal einen ähnlichen Streit um eine EG-Lebensmittelverordnung. Damals waren es die Deutschen, die in Brüssel auf dem Reinheitsgebot für Bier bestanden. Mal sehen, ob die Briten den Mumm haben, für ihre süßen Kartoffelchips, wie die Deutschen für ihr reines Bier, vor Gericht zu ziehen.

Eine wunderschöne neue Verordnung ist gerade auf Capri in Kraft getreten: Das Halteverbot für Fußgänger! Widerrechtlich haltende Gruppen von Fußgängern müssen in Zukunft mit einem Bußgeld von bis zu 800.000 Lire (ca. 1.000 Mark) rechnen. Die entsprechende Verordnung erließ Costantino Federico, christdemokratischer Bürgermeister auf der Insel im Golf von Neapel. Wie es in seiner Anordnung Nr.34 heißt, ist das „Halten auf Plätzen oder Straßen von Touristengruppen in Begleitung von Führern, die die Bewegungsfreiheit von Besuchern und Einheimischen einschränken sowie die normalen wirtschaftlichen und kommerziellen Aktivitäten behindern“, untersagt. Geschäftsleute und Hotelbesitzer auf Capri haben die Initiative begrüßt.

„Alle werden zahlen“, versichert der strenge Bürgermeister. Erstes Opfer seiner neuen Maßnahme wurde eine Touristengruppe aus Sorrent, die den Eingang zur Kirche Santo Stefano etwas zu lange besichtigt hatte. Karl Wegmann