Montags bleibt die Sofaecke leer

■ Zum letzten Mal hob sich der Vorhang zum Blauen Montag im ausverkauften Quartier Latin: Varietéprogramm für jedermann unter der Regie der Tornados wird eingestellt/ Trotz ausgebuchter Abende kein gewinnbringendes Geschäft

Schöneberg. Er im weißen Anzug mit schwarzem Sombrero, sie im kurzen goldglitzernden Kleid mit passenden Stöckelschuhen und rosa Schleifchen im Haar. Lässig leger in weiße Sofapolster zurückgelehnt, präsentierte sich das Restduo der »Drei Tornados«, Günther Thews und Arnulf Rating, vorgestern abend dem Publikum, als sich im ausverkauften Quartier zum letzten Mal der Vorhang zum Blauen Montag hob. »Wir haben uns heute ein bißchen schick gemacht«, flötete der schnurbärtige Arnulf und rückte dabei seinen voluminösen Busen zurecht. »Das Kleid stammt noch aus der Zeit, als wir politisches Theater gemacht haben. Eigentlich wollte ich es schon dem Roten Kreuz übergeben, aber was sollen die in Kurdistan mit dem Kleid, da wird man ja auch nicht satt von.« Nachdem Arnulf seinen ersten Lacher geerntet hat, stellt er den ersten Gast des Abends vor. Den Sänger Sir Henry de Winter, der 135. englische Thronfolger. »Er ist ein ganz feiner gebildeter Herr, der seiner Frau beim Rasenmähen den Sonnenschirm hinterherträgt, was man von unserem Bundeskanzler nicht unbedingt sagen kann. Der schlägt sich ja lieber mit Ossis rum. Eigentlich schon 'ne ganz schöne Spontihaltung, die er da an den Tag legt«, schwafelte Arnulf ohne Punkt und Komma, nur von Lachern aus dem Zuschauerraum unterbrochen, weiter. »Die Leute in den neuen fünf Bundesländern oder im Nahen Osten, wie ich sage, haben jetzt endlich den Unterschied zwischen einem Telefonhörer und einem Politiker begriffen. Einen Telefonhörer kann man aufhängen, wenn man gewählt hat.« Der Blaue Montag war von den Tornados vor einem guten dreiviertel Jahr als »Luxusecke« des Varietés im Quartier ins Leben gerufen worden. Die 33 Vorführungen, die unter der Regie und Moderation von Günther und Arnulf seither stattfanden und die stets viele Zuschauer anlockten, standen unter dem Motto, Bühne frei für jederman, der künstlerisch ambitioniert ist. Die einzige Bedingung: Er oder oder sie mußte in der Lage sein, ein Publikum fünf Minuten unterhalten zu können. Der erste, der sich auf die Annonce, »für eine Varietévorführung suchen wir Kunstfurzer. Akrobaten bitte im Quartier melden« antwortete, war Kai Eickermann. Dem 35jährigen Mann, der aussieht wie ein Büroangestellter, war es am letzten Blauen Montag noch einmal vergönnt, einen Rapdance auf die Bretter zu legen, der sich sehen lassen konnte. Wie viele Hochseilkünstler, Jongleure, Sänger, Literaten und Tänzer an den Blauen Montagen auftraten, läßt sich kaum noch sagen. An manchen Tagen waren es 30 und mehr Einzeldarsteller oder Gruppen, wie die Berliner Mundharmonikaspieler, die mit 40 Menschen ein Ständchen zum Besten gaben. Daß die Gage pro Person 100 Mark betrug und Gruppen über vier Personen zusammen nur 400 Mark ausgezahlt bekamen, hatte seinen guten Grund. Die Tornados mußten sämtliche Kosten des Abends — Kapelle, Ton, Licht, Saalumbau, Versicherung, Flügelmiete — durch den Kartenverkauf bestreiten und wurden am Getränkeumsatz nicht beteiligt, seit sie das Quartier im Dezember an die Rockgruppe BAP verkauft hatten. Hintergrund des Verkaufs war, daß sich die Tornados beim Umbau des Ladens zu einem Varieté finanziell übernommen hatten. Die Tatsache, daß sie trotz gut verkaufter Blauer Montage mit plus minus null beziehungsweise abzüglich aller Unkosten »zusammen allenfalls mit 1.000 Mark« (Günther) nach Hause gingen, ist ein Grund dafür, daß der Blaue Montag am vergangenen Montag der letzte war. Der zweite Grund ist, daß die Rahmenbedingungen für den Blauen Montag im Quartier für die Tornados seit dem Verkauf nicht mehr stimmen, weil dort sonst kaum noch Varieté, sondern hauptsächlich life Rock- und Diskomusik gespielt wird.

Und so trällerte »die Nachtigall von Ramersdorf« ihr la vie en rose, vergangenen Montag zum letzten Mal. Drehten zwei Fünzehnjährige mit ihren BMX Rädern einen akrobatischen Fahrrad-Rap, jonglierte der 20jährige Sascha mit fünf Bällen und Reifen, ritt der blondgelockte Taumour Bernd Schlamann ein letztes Mal mit seinem Steckpferd über die Bühne, um den König um die Hand seiner Tochter anzuflehen und dann Arnulf auf seinem Roß zu entführen. Varieté wird es im Quartier montags auch weiterhin geben — das Varieté »Scheinbar« tritt mit neuem Konzept an —, doch das weiße Sofa in der Ecke mit den beiden unverbesserlichen Quatschköpfen wird fehlen. Plutonia Plarre